Die schwierige Suche nach einem Kitaplatz

Herr M. möchte seiner dreijährigen Tochter nicht vorenthalten, einen ganz normalen Kindergarten zu besuchen. Aber da gibt es viele Hindernisse.

Die schwierige Suche nach einem Kitaplatz
Foto: dpa

Düsseldorf. Der Beginn des Traumes von Herrn M. und seiner Tochter begann vor anderthalb Jahren, als Herr M. sich erstmalig um einen Kindergartenplatz für seine Tochter bemühte. Nach seiner Vorstellung musste er seine Tochter nur bei der zuständigen Stelle registrieren lassen — ein Jahr vor deren dritten Geburtstag, dem Stichtag für ein Leben als Kindergartenkind in Düsseldorf. Aber schnell musste er feststellen, dass der Prozess sehr viel langwieriger und komplexer ist, als er angenommen hatte: Mehr als ein ganzes Jahr wartete er auf die erste Einladung zu einem Termin in einem der Kindergärten.

(Mouayad Atfeh)

Auf die Freude folgte der Schreck: „Oh mein Gott!“, 400 Familien sind außer ihm eingeladen, die um 16 freie Plätze konkurrieren! Aber nicht nur die Konkurrenz, auch die Hürden sind gewaltig bei diesem Kindergarten: Bevorzugt vergeben werden die Plätze an Kinder aus katholischen Familien, an solche, die bereits Geschwister in der Einrichtung haben, deren Eltern arbeiten oder an die Kinder, die schon im letzten oder vorletzten Jahr nicht berücksichtigt wurden.

Wie sollte Herr M. diese Bedingungen erfüllen, der vor gerade eineinhalb Jahren mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland gekommen war, und demzufolge weder katholisch war noch Arbeit hatte — geschweige denn andere Kinder in der Einrichtung. Wochen vergingen mit vielen Besuchen und Versuchen in zahlreichen Kindergärten — leider ohne Ergebnis. Bald beginnt das neue Schuljahr und bisher gibt es keinen Platz in einem Kindergarten, der seinen Traum und den seiner Tochter erfüllen könnte.

In Herrn M.s Heimat Syrien gibt es bereits seit 1944 Kindergärten — allerdings stehen die meisten nur Angehörigen bestimmter, staatlicher Berufsgruppen zur Verfügung und 80 Prozent der Einrichtungen sind privat und dementsprechend teuer. Wegen des niedrigen Lebensstandards blieben die meisten Kinder also zu Hause und wurden von der Mutter oder Großmutter betreut, was durch die großen Familien und die geringe Zahl von erwerbstätigen Frauen (wenn die auch in den letzten Jahren stark anstieg) auch einigermaßen funktionierte.

Nie hätte Herr M. mit solchen Problemen gerechnet. In Deutschland, dem „Erfinder des Kindergartens“: Am 28. Juni 1840 gründete Friedrich Wilhelm in Blankenberg nach der Industriellen Revolution den ersten „Deutschen öffentlichen Kindergarten“ als Reaktion auf die veränderten familiären und sozialen Umstände: Frauen wurden zunehmend in den industriellen Produktionsprozess einbezogen, besonders in den schnell wachsenden Städten. Der Bedarf an Kinderbetreuung wuchs also. Heute ist die Einrichtung ganz selbstverständlich für Kinder, die in Deutschland das dritte und in der Schweiz das vierte Lebensjahr vollendet haben und in Österreich ein Jahr mindestens.

Derzeit besuchen 93,6 Prozent der Kinder zwischen drei und fünf Jahren eine Kindertagesbetreuung in Deutschland. Dies gilt als eine der wichtigsten Stufen in der Bildung der Persönlichkeit des Kindes und der Entwicklung seines Denkens und bestimmen seine Tendenzen im Allgemeinen. Unterhalten werden in Deutschland Kindergärten von den verschiedensten Stellen: Es gibt freie, kommunale, kirchliche oder privatwirtschaftliche Träger, Institutionen der Freien Wohlfahrtspflege, Vereine und Elterninitiativen. Insgesamt gibt es in Deutschland 55 293 Tageseinrichtungen für Kinder. Davon bieten 19 657 eine integrative Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung an. Nur noch 251 Kindertageseinrichtungen richten sich allein an Kinder mit Behinderungen bzw.

Seit dem Kitajahr 2009/2010 sind Kindergartenplätze in Düsseldorf kostenlos. Düsseldorf will sich als Familienstadt profilieren und für junge Familien attraktiv sein. Kostenlose Kitaplätze sind da ein zusätzlicher Anreiz und ein weicher Standortfaktor für die Stadt. Man versuche, jedem Kind, das einen Kitaplatz in Düsseldorf benötigt, auch einen Platz anbieten können. Dazu passt, dass entgegengesetzt zum Trend im Ruhrgebiet in Düsseldorf die Einwohnerzahlen steigen und die Geburtenrate relativ hoch ist.

Die Kosten für einen Kitaplatz waren bislang stark nach Buchungszeit und Einkommen gestaffelt. Trotzdem waren gut 70 Prozent der Eltern von den Kitagebühren befreit, weil sie die Einkommensuntergrenze von 24 542 Euro Brutto-Einkommen im Jahr unterschritten haben. Die kostenlosen Kindergartenplätze kosten die Stadt im Jahr ungefähr 20 Millionen Euro. Eltern sparen sich heute zwischen 33 Euro im Monat bis hin zu 370 Euro im Monat für einen Ganztagsplatz in der höchsten Einkommensgruppe.

Am 1. August hoffen rund 27 500 Kinder unter Schuleintritt auf einen Kindergartenplatz. Besonders angespannt ist die Lage in den innerstädtischen Gebieten wie in Oberbilk, wo auch Herr M. zuhause ist. Trotz der Eröffnung von elf neuen Kindergärten im letzten Jahr gibt es auch in diesem Jahr ganze zwölf neue Kindergärten, die 2018/2019 rund 950 neue Plätze für Kinder schaffen — ein Hoffnungsschimmer, aber dennoch keine Gewissheit. Weil die Registrierungszahlen stetig steigen. Und es wird eine Erhöhung der Anzahl der jährlich erforderlichen plätze um 1200 bis zum Jahr 2025 erwartet.

Können wir von anderen Ländern lernen? In Frankreich ist es obligatorisch, alle Kinder aufzunehmen, die einen Platz in den Kindergärten haben möchten. Derzeit gibt es ein neues Gesetz, das die Kindergartenzeit als Teil der Grundausbildung anerkennt. In den USA wurde der erste — deutschsprachige! — Kindergarten 1856 von Friedrich Fröbel und Margarethe Schurz in Watertown gegründet, der ersten englischsprachige eröffnete 1860 in Boston. Als Datum der Einschulung wird in den meisten amerikanischen Familien nicht der Beginn der ersten Klasse, sondern der Eintritt des Kindes in den Kindergarten gefeiert. So hoch ist hier der Stellenwert des Kindergartens.

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