Die politische Botschaft hat bei Graffitis ausgedient

Früher hatten Graffiti oft einen ernsthaften Hintergrund. Heute geht es um die Selbstverwirklichung des „Künstlers“.

Die politische Botschaft hat bei Graffitis ausgedient
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Seit vielen Jahren verzieren sie die ältesten Bahnunterführungen mit ihren bunten Bildern, beschmieren frisch gestrichene Hauswände mit ihren Initialien oder hinterlassen geheime Botschaften an alten Güterbahnhöfen — die Sprayer und Straßenkünstler in Düsseldorf haben im Stadtbild ihre Spuren hinterlassen. Es sind Bilder, die jeder schon einmal gesehen hat, aber kaum jemand weiß, welche Intentionen eigentlich dahinter stecken.

Denn die sind oftmals ganz unterschiedlich. Während die einen verstärkt mit Symbolen oder kurzen Statements arbeiten und so mit der Vorstellungskraft des Betrachters spielen, geht es bei anderen um ganz persönliche Erlebnisse.

Klaus Klinger vom Künstlerverein Farbfieber arbeitet selbst viel mit Graffitikünstlern und Hobbysprayern. Für ihn steht fest: Heute gibt es viele persönliche Graffiti, die politischen sind in den Hintergrund geraten. „Viele wollen heute zeigen, was sie künstlerisch drauf haben oder einfach den eigenen Namen verbreiten.“

So wie der Graffiti-Maler „Neu“, dessen Synonym-Name bereits vor über 30 Jahren an öffentlichen Wänden und Bahnhöfen mit Streichfarbe aufgetaucht ist. Seitdem sieht man den Schriftzug aus drei Großbuchstaben und einem E aus drei waagerechten Linien nicht nur an Düsseldorfer Bahnhöfen, sondern auch weltweit an öffentlichen Plätzen. Im Netz kursieren zahlreiche Anekdoten und Geschichten, nach denen es sich bei „Neu“ um einen Mann aus Dortmund handeln soll, der für die Verbreitung seines Namens um die ganze Welt reist: In Europa und den USA ist der Name ebenfalls zu sehen. „Neu hat keinen gesellschaftskritischen Hintergrund“, sagt Klinger. „Hier geht es wirklich nur um den Namen.“

Politisch wird es hingegen, wenn man sich die Bilder anschaut, die beispielsweise den Derendorfer Güterbahnhof verzieren: Seit Anfang 2011 ist hier ein meterlanges Graffiti zu sehen, das an ein Konzentrationslager erinnert. Rund einhundert Meter weiter zieht ein schwarzer dicker Schriftzug die Blicke auf sich: „Verhaltet Euch ruhig!“ steht auf der grünen Schallschutzmauer entlang der Toulouser Allee — weit und breit ist kein Kürzel eines Sprayers in Sicht. Auf dem früheren Güterbahnhof Derendorf wurden zwischen den Jahren 1941 bis 1944 rund 6000 Juden deportiert.

Zu diesen Wandbildern hat sich schon vor ein paar Jahren die Sprayergruppe „Zelle Asphaltkultur“ bekannt. Ihr Markenzeichen sind Bilder und Schriftzüge, die sich mit dem zweiten Weltkrieg beschäftigen und die fehlende Signierung. „Politische Sprayer arbeiten meistens mit Bildern oder mit knackigen Sätzen, um die Menschen auf etwas aufmerksam zu machen“, sagt Klinger. Genau das steckt auch hinter der Zelle Asphaltkultur.

Politisch oder nicht — beide Graffiti werden mittlerweile im Stadtbild akzeptiert. „Graffiti war früher keine Kunst“, sagt Klaus Klinger. Das hat sich jetzt verändert — mittlerweile sind die Graffiti in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Seit ein paar Jahren gibt es sogar ein eigenes Festival — das Urban Art Festival 40 Grad, bei dem Graffiti-Künstler sich präsentieren und gegenseitig Anregungen geben können.

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