Die Magie der alten Rituale

Die Fotografin Iwajla Klinke porträtiert weltweit Bräuche, die bis heute den Alltag der Menschen prägen. Nun zu sehen in der Galerie Voss.

Düsseldorf. Im Norden Thailands pflegt man einen Brauch, den es nur dort gibt, in etwas anderer Form noch weiter nördlich, in Myanmar. Die Jungen zwischen sieben und zwölf Jahren sollen für eine bestimmte Zeit in einen Mönchsorden eintreten, um später als reifer Mann zu gelten. Vor dem Gang ins Kloster treffen sich die Jungen im Tempel. Dort wird ihnen das Haar abrasiert. Mit einem großen Lotosblatt in den Händen fangen sie es auf und bewahren es. Daraufhin werden ihre Häupter mit Blumenkronen geschmückt. Außerdem schlüpfen die Jungen in bunte, festliche Gewänder. Drei Tage lang dürfen sie den Boden nun nicht mehr berühren und werden von ihren Vätern und Brüdern getragen. Eine Ehre, die sonst nur Herrschern gebührt. Gefeiert wird jugendliches Prinzendasein und Dekadenz, ganz im Stile Buddhas.

Rituale wie diese faszinieren die Fotografin Iwajla Klinke. Uralte Rituale, die bis heute weiterleben und weltweit zu finden sind. Und immer etwas heraufbeschwören, was in unserer entzauberten, rationalen Welt nur als esoterischer Humbug abgetan wird: Momente der Magie, der Spiritualität, des Irrationalen. Klinke dokumentiert diese Rituale mit ihrer digitalen Spiegelreflexkamera, schafft es aber auch, ihre Magie einzufangen. Davon kann man sich nun in der Galerie Voss überzeugen, die ausschnittsweise drei Länder-Serien aus Thailand, Indien und Mexiko präsentiert.

(Ein Heranwachsender aus Indien hat sich in einen Leopardenmenschen verwandelt.)

Sie alle verbindet ein Motiv: Kinder in zeremoniellen Gewändern. Klinke inszeniert sie auf eine ganz spezielle Weise: Vor einem schwarzen Tuch in der Mitte des Bildes. Würdevoll und ernst blicken sie dem Betrachter entgegen. Die jungen Thais in ihrem floralen und textilen Pomp sind nur von einer Seite angeleuchtet. Dadurch wirken sie wie Figuren aus einer Zwischenwelt, als würden sie aus einer Traumwelt in die Wirklichkeit hinüberschreiten oder umgekehrt.

„Oneironauts“ heißt die Thailand-Serie. Das Wort wird für Klarträumer benutzt, also Menschen, denen bewusst ist, dass sie träumen und ihre Hirnkinofilme auch aktiv steuern können. Letztlich fängt Klinke aber auch einen realen Übergang ein: Die Jungen entwickeln sich allmählich zu Männern und feiern schon das, was ihnen nach der klösterlichen Kargheit blühen kann: sinnliche Opulenz. Klinkes Bilder erinnern an Porträts aus dem Goldenen Zeitalter oder an Studio-Fotografien aus dem 19. Jahrhundert. Bilderwelten, die sie tatsächlich auch beeinflusst haben: „Gerade der frühen Zeit der Fotografie ist eine große Magie eigen“, sagt die Künstlerin.

(Dieser junge Karnevalsteilnehmer verkörpert die Straßen- und Jugendkultur im mexikanischen Huastecan.)

Im mexikanischen Huasteca hat Klinke junge Karnevalsteilnehmer porträtiert. Ein Junge posiert mit Trikot, kurzer Hose, Feder-Hut und bunt bemaltem Körper. In der einen Hand ein Blashorn, in der anderen ein Regenstab. Er verkörpert einen Mix verschiedener Kultur-Traditionen, der sich auch im Titel der Mexiko-Serie widerspiegelt: „Huastecan Cherubim“. Zu einheimischer Jugend- und Straßenkultur gesellen sich indianische Regenzeremonien, aber auch christliche Cherubim: Engel, die Gott dienen und die Rechtschaffenen schützen.

In ihrer Serie „Therian Infantes“ widmet sich Klinke indischen Jungen, die sich in Raubkatzen verwandeln. So erscheint ein Heranwachsender von Kopf bis Fuß im Leoparden-Look: gepunkteter Hut, der ganze Körper geschminkt, in der Hand die abgenommene Raubtier-Maske. Als Leopardenmensch zelebriert er die in Indien allgegenwärtige theriantropische Tradition: Ein Gott wird als halb tierisch und halb menschlich gedacht. Fotografien, die sowohl künstlerisch als auch kulturhistorisch wertvoll sind.

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