Schule Die Förderschule, die ihre Schüler stark macht

In unserer Serie stellen wir die Schulen der Stadt vor. Unsere Autoren besuchen die Einrichtung an einem normalen Schultag. Am Ende des Jahres wählt eine Jury die Träger des Schulpreises, den WZ und Stadtwerke vergeben. Dieses Mal: die LVR-Gerricus-Schule mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation.

 Carina Lütkeduhme erklärt die Bedeutung von Verkehrsschildern. Das Mikrofon, das sie trägt, ist mit den Hörgeräten der Kinder verbunden und verbessert die Kommunikation.

Carina Lütkeduhme erklärt die Bedeutung von Verkehrsschildern. Das Mikrofon, das sie trägt, ist mit den Hörgeräten der Kinder verbunden und verbessert die Kommunikation.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Carina Lütkeduhme sitzt auf dem Boden ihres Klassenraums. Heute bespricht sie mit einer Handvoll Schülern die Bedeutung der Verkehrszeichen. „Weil wir bald Fahrradfahren gehen“, sagt Subhan aufgeregt. Der Zehnjährige spricht deutlich, während er die dazu passenden Gebärden macht. Im Ohr trägt er ein Hörgerät. Auch die anderen Schüler in der Runde haben eine Hörschädigung. Um die Kommunikation untereinander zu verbessern, trägt Carina Lütkeduhme ein Mikrofon um den Hals, das mit den Hörgeräten und -Implantaten der Kinder gekoppelt ist. Auch der Klassenraum ist auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet. Störgeräusche werden unter anderem durch Teppichboden und Filzgleiter unter den Möbeln reduziert.

Die LVR-Gerricus-Schule in Gerresheim hat den Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation. Weil es nicht viele Schulen mit diesem Schwerpunkt gibt, ist das Einzugsgebiet entsprechend groß – es reicht von Neuss bis Radevormwald, von Ratingen bis nach Monheim. Die Kinder werden von einem Fahrdienst zur Schule und nach Hause gebracht. Voraussetzung für den Besuch der Schule ist eine diagnostizierte Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit des Kindes, die das schulische Lernen schwerwiegend beeinträchtigt.

Die drei Säulen: Beratungsstelle, Kindergarten und Schule

In der Regel kommen Kinder mit einer Hörschädigung aber schon viel früher mit dem Landschaftsverband Rheinland an der Gräulinger Straße in Kontakt – nämlich in der Beratungsstelle, die in der Schule angesiedelt ist. „Eltern, die ein hörgeschädigtes Kind haben, werden dort beraten und begleitet“, erläutert Schulleiter Martin Schmidt. Die Beratungsstelle organisiert dann auch, wenn die Eltern es wollen, eine so genannte Frühförderung. „Unsere Sonderpädagogen kommen dann zu den Eltern nach Hause und helfen dabei, mit der neuen Situation umzugehen“, so Schmidt. Dazu gehöre auch die Netzwerkarbeit: Es werden Kontakte zu Ärzten, Kliniken und Akustikern hergestellt, aber auch zu pädagogischen Einrichtungen, in denen die Kinder mit anderen hörgeschädigten Kindern in Kontakt kommen und merken: Es gibt noch andere, die so sind wie ich.

Die LVR-Gerricus-Schule beherbergt auch einen Förderschulkindergarten. Ihn besuchen Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren. Auch Kinder, die neben der Hörschädigung als primäre Behinderung noch weitere Beeinträchtigungen haben, können aufgenommen werden. Aber auch wenn Eltern einen Regelkindergarten für ihr Kind wählen, stehen die Sonderpädagogen bereit: Einmal in der Woche werden die Kinder in ihrer Kita besucht. Den Spaß am Hören und Kommunizieren und den selbstbewussten Umgang mit der Beeinträchtigung und dem Hörgerät zu vermittelt, steht dann im Mittelpunkt. Aber auch visuelle Kommunikationshilfen werden beigebracht: lautsprachunterstützte Handzeichen und Gebärden.

In der LVR-Gerricus-Schule werden Kinder ab Klasse 1 bis zum Haupt- oder Realschulabschluss nach Klasse 10 unterrichtet. Insgesamt besuchen 200 Kinder und Jugendliche die Förderschule in Gerresheim. Die Klassen sind entsprechend des Förderbedarfs sehr klein: acht bis 14 Schüler besuchen eine Klasse. Das Kollegium umfasst rund 80 Sonderpädagogen. Darunter sind auch jene Pädagogen, die Kinder zu Hause, im Regelkindergarten oder auch an Regelschulen besuchen und das „gemeinsame Lernen“ fördern. Zurzeit werden 150 Kinder einmal in der Woche an einer Regelschule von Sozialpädagogen der LVR-Gerricus-Schule besucht. „Die Inklusion kann bei bestimmten Schülern klappen. Bei Schülern, die zügig lernen, mit der Rolle als Hörgeschädigter selbstbewusst umzugehen “, sagt Schmidt. „Es gibt aber auch Schüler, bei denen ich der Meinung bin, dass unsere Schule die bessere Wahl ist. Das hängt immer auch vom Grad der Hörschädigung ab“, sagt er. „Es gibt Schüler, deren Muttersprache die Gebärdensprache ist und die an einer Regelschule ständig von einem Gebärdendolmetscher begleitet werden. Wenn man sich nun mal vorstellt, dass diese Schüler in der Pubertät angekommen auch mal mit Freunden reden wollen und dann immer eine dritte Person dazwischen ist, wird schnell klar, dass das nicht optimal sein kann.“

Wenn Kinder an Regelschulen an ihre Grenzen stoßen, können sie jederzeit auf die Förderschule wechseln. Umgekehrt gab es aber auch eine Reihe von Schülern, bei denen festgestellt wurde, dass ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf nicht mehr nötig ist. Martin Schmidt erinnert sich an einen ganz besonderen Fall: „Vor ein paar Jahren saß eine Schülerin weinend in meinem Büro. Sie besuchte damals ein Gymnasium in Düsseldorf und erzählte mir, dass sie mit dem Lehrstoff super klar komme, sie sich mit ihrer Hörbehinderung aber nicht ernst genommen fühlt“, sagt Schmidt. Das Mädchen berichtete, dass Lehrerinnen sich weigerten, das digitale Übertragungsgerät zu nutzen, weil es nicht zum Design ihrer Bluse passe. „In Klasse 8 wechselte die Schülerin an unsere Förderschule und machte hier den mittleren Schulabschluss mit Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe. Sie wechselte dann an ein anderes Düsseldorfer Gymnasium und hat dort vergangenes Jahr Abitur gemacht.“

Kinder lernen ihre Rolle als Hörgeschädigte zu akzeptieren

Für Schulleiter Martin Schmidt gehören solche Erlebnisse zu den „großartigen“ in seinem Job. „Es ist der beste Job der Welt“, sagt er gerne, wenn er von seinem Alltag spricht. „Man kann so viele Dinge erreichen, wenn man im Team gut zusammenarbeitet.“ Und gleichzeitig betont er immer wieder: „Wir können nicht heilen. Wir sind keine Ärzte. Aber wir haben das Verständnis, dass die Schüler, die uns besuchen, einen großen Rucksack mit sich herumtragen. Wir helfen, ihn leichter zu machen, aber wir können den Rucksack nicht abnehmen.“ Leichter wird der Rucksack dadurch, dass die Kinder und Jugendlichen an der Schule lernen, mit ihrem Handicap umzugehen, ihre Rolle als Hörgeschädigte zu akzeptieren und selbstbewusst damit umgehen. „Wir wollen unsere Schüler bestmöglich auf den Schulabschluss vorbereiten. Aber wir haben erst gewonnen, wenn ein Jugendlicher im Bewerbungsgespräch so selbstbewusst ist, dass er dem Gegenüber seine Bedürfnisse klar formuliert“, sagt Schmidt. Und das bedeute: „Bevor wir anfangen, beachten Sie, ich bin hörgeschädigt. Denken Sie daran, dass sie mich angucken, wenn Sie mit mir sprechen. Sie sollten langsam, aber nicht laut mit mir sprechen.“

Julia hat diesen Schritt noch vor sich. Selbstbewusst ist die 17-Jährige aber definitiv: Sie hat sich vor die Schülerschaft gestellt und zur Schülersprecherin wählen lassen. Nach ihrem Abschluss möchte Julia ein Berufskolleg besuchen, um ihren Realschulabschluss zu machen. Die Förderschule hat sie lieben und schätzen gelernt. „Man kann sich hier aufeinander verlassen“, sagt sie. Nur Mathe, das kann sie so gar nicht leiden.

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