Attentat Die Bombe von Düsseldorf - Wehrhahn-Anschlag nach 20 Jahren ungeklärt

Düsseldorf · Vor 20 Jahren explodiert in Düsseldorf eine Rohrbombe. Unter den zehn Verletzten sind mehrere jüdische Einwanderer aus Osteuropa. Ein ungeborenes Baby stirbt. Nun wird sich der Bundesgerichtshof mit dem Anschlag beschäftigen.

 Bei einem Bombenattentat an der Düsseldorfer S-Bahn-Station Wehrhahn werden am 27. Juli 2000 zehn mehrheitlich jüdische Aussiedler aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion verletzt und das ungeborene Kind einer damals 26-Jährigen getötet.

Bei einem Bombenattentat an der Düsseldorfer S-Bahn-Station Wehrhahn werden am 27. Juli 2000 zehn mehrheitlich jüdische Aussiedler aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion verletzt und das ungeborene Kind einer damals 26-Jährigen getötet.

Foto: dpa/Martin Gerten

Der Sprengsatz war in einer Plastiktüte versteckt: Am 27. Juli 2000 gegen 15.04 Uhr explodiert am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn eine Rohrbombe und richtet ein Blutbad an. Ein Metallsplitter durchbohrt ein ungeborenes Baby im Bauch seiner Mutter und tötet es. Unter den zehn Verletzten sind mehrere jüdische Einwanderer aus Osteuropa.

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) spricht von einer „abscheulichen Tat“. In der Folgezeit schnellen die rechtsradikalen Straftaten in Deutschland in die Höhe. Der Ruf nach einem Verbot der NPD wird laut. 20 Jahre später ist immer noch unklar, wer die Bombe gelegt hat.

Vor zwei Jahren wurde ein rechtsradikaler ehemaliger Militaria-Händler vom Düsseldorfer Landgericht freigesprochen. Den Richtern reichten die vielen Indizien nicht, die die Ermittler gegen ihn zusammengetragen hatten.

Rechtskräftig ist der Freispruch allerdings noch nicht. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt, und über die wird demnächst der Bundesgerichtshof zu befinden haben, wenn ihm der Fall von der Bundesanwaltschaft vorgelegt wird.

 Das Bild zeigt Rettungskräfte, die vor dem Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn Verletzte versorgen

Das Bild zeigt Rettungskräfte, die vor dem Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn Verletzte versorgen

Foto: dpa/Christian_Ohlig

1500 Menschen wurden wegen des Wehrhahn-Anschlags befragt, mehr als 300 Spuren verfolgt, 450 Beweisstücke gesammelt. Der Militaria-Händler, der in der Nähe wohnte, geriet schon bald ins Visier der Ermittler. Er wurde vernommen - und wieder frei gelassen.

Jahre später gerät ein ehemaliger Leibwächter Osama bin Ladens unter Verdacht, als er zugibt, Anschläge auf Juden in Düsseldorf geplant zu haben. Doch der Islamist hat ein gutes Alibi: Er befand sich zur Tatzeit in einem Al-Kaida-Camp in Afghanistan.

Nach Bekanntwerden der Mordserie des NSU sind die Ermittler erneut elektrisiert, aber ein Umstand spricht sofort dagegen: Der Düsseldorfer Anschlag fehlt auf der Bekenner-DVD des NSU. Es lässt sich auch nicht ermitteln, ob das NSU-Trio zur Tatzeit in Düsseldorf war. Handfeste Beweise wie Fingerabdrücke oder DNA-Spuren waren durch die Hitze der Explosion buchstäblich verdampft.

Dann gibt ein Gefangener in einem NRW-Gefängnis zu Protokoll, ein Mithäftling habe ihm gegenüber damit geprahlt, er habe „an einem Bahnhof Kanaken weggesprengt“. Der Mithäftling ist jener rechtsradikale Militaria-Händler, der bereits unmittelbar nach dem Anschlag in Verdacht geraten war und der inzwischen in anderer Sache hinter Gittern sitzt.

Das bringt die Ermittlungen um den weltweit beachteten Bombenanschlag wieder in Gang. Akribisch tragen die Ermittler alle Details zusammen, die den inzwischen 54-Jährigen belasten: von seiner Tätowierung, die die Wewelsburg zeigt, die Kaderschmiede von SS-Chef Heinrich Himmler, bis zu zahlreichen Zeugenaussagen. Ex-Freundinnen des Verdächtigen sagen aus, er habe dunkle Ankündigungen gemacht. Die Bedienungsanleitung eines Fernzünders wird bei ihm gefunden.

Bei einem mitgehörten Telefonat äußert sich der Beschuldigte über das Baby, das bei dem Anschlag getötet worden war: Das sei doch „nur Abtreibung“, was er gemacht habe, sagte er - und verbesserte sich dann: „gemacht haben soll“. Kurz nach dem Anschlag soll er zudem einen stadtbekannten Neonazi angerufen und ihn - vergeblich - um ein Alibi gebeten haben.

Am Tatort habe ein dunkles Auto geparkt - darin hätten die wahren Täter gesessen - behauptet der Verdächtige, der zur Tatzeit ja gar nicht am Tatort gewesen sein will.

Der Verdächtige beteuert, zu Hause gewesen zu sein, als die Bombe unweit seiner Wohnung ferngezündet wird - just in dem Moment, in dem die Gruppe Sprachschüler die Stelle passiert.

Wie denn sein Hund auf den Knall der Explosion reagiert habe, wollte ein Ermittler daraufhin von ihm wissen. Wie er das denn wissen solle, der „war doch zu Hause“, entgegnete der Verdächtige - aus Sicht der Ermittler hatte er sich damit ein weiteres Mal verraten.

Zwei Jahre nach dem Anschlag wird in einem Wohnmobil am Düsseldorfer Rheinufer Sprengstoff vom Typ TNT sichergestellt - und eine Schachtel für sechs elektronische Zünder - ein Zünder fehlt. Es ist das Wohnmobil eines Bekannten des verdächtigen Militaria-Händlers.

Die Bedienungsanleitung für genau jenen Zünder fand sich nach dem Anschlag in seiner Wohnung. Bei dem Versuch, dies zu erklären, verstrickt sich der Verdächtige in Unwahrheiten und Widersprüche.

Die Staatsanwaltschaft spricht von einer „erdrückenden Beweislast“. Wegen zwölffachen Mordversuchs muss der Rechtsradikale vor Gericht. Doch dort bestreitet er seine Täterschaft weiter hartnäckig - und das mit Erfolg.

Eine Ex-Freundin, sagt aus, die Rohrbombe in dessen Küche gesehen zu haben. Der Polizei sagte sie auch, er habe die Tat angekündigt: „Ich werd' die hochjagen.“ Doch im Prozess ist sie sich nicht mehr so sicher, was die Ankündigung angeht.

Der Mithäftling, dem er die Tat gestanden haben soll, ist wegen Betrugs vorbestraft. Verteidiger Olaf Heuvens argumentiert erfolgreich, er könne es auf die hohe Belohnung abgesehen haben.

 Eine Gedenktafel erinnert an den  Wehrhahn-Anschlag vor 20 Jahren.

Eine Gedenktafel erinnert an den Wehrhahn-Anschlag vor 20 Jahren.

Foto: dpa/Martin Gerten

Die Ermittler haben Hinweise dafür, dass der Angeklagte Beweise in einem Erddepot versteckt hält. Doch gefunden wird es nicht.

Zwar räumte der Vorsitzende Richter Rainer Drees ein, dass der Mann, den eine Zeugin am Tatort auf einem Stromkasten sitzen sah und der nach der Explosion verschwand, dem Angeklagten ähnelte. „Die Ähnlichkeit belastet den Angeklagten am stärksten“, stellte Drees fest.

Für eine Verurteilung reiche dies aber nicht, auch wenn der Fremdenhass des Angeklagten gut belegt sei. Die Hauptbelastungszeugen hätten sich in Widersprüche verwickelt, konstatiert der Richter.

Der Präsident des Zentralrats der Juden zeigte sich über den Freispruch bestürzt. Sollte der Bundesgerichtshof das Urteil aufheben, müsste der 54-Jährige erneut vor Gericht. Sollte er es bestätigen, dürfte es unwahrscheinlich sein, dass der Anschlag jemals aufgeklärt wird. Vor einigen Wochen wurde am Tatort eine Gedenktafel angebracht.

(dpa)
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