Die Bahnhofsmission sucht das verschüttete Ich

Barbara Kempnich leitet seit zehn Jahren die Bahnhofsmission. Dort erlebt man viel menschliches Elend. Ein Besuch in ihren Räumen am Hauptbahnhof.

Die Bahnhofsmission sucht das verschüttete Ich
Foto: Markus Ambach

Düsseldorf. Barbara Kempnich ist eine resolute Frau, Bürgersprecherin für den Umbau am Hauptbahnhof. Vor allem aber leitet sie seit zehn Jahren im Dienste der Diakonie die Bahnhofsmission. Bei unserem Besuch hält sich ein recht gemischtes Publikaum dort auf. Kempnich blickt in die Runde und sagt: „Es sind Alkoholabhängige, Drogenkranke, psychisch Kranke, Wohnungslose und Einsame, die sich in ihren eigenen vier Wänden nicht mehr wohl fühlen.“ Sie alle scheinen hier ihre Heimat zu haben. Ein jüngerer Mann hat den Kopf auf den Tisch aufgelegt. Er schläft offensichtlich einen Rausch aus.

Die Menschen blicken nicht auf. Und dennoch erklärt Barbara Kempnich, ihre Tätigkeit mache ihr Spaß. Sie kennt sich aus im Umgang mit benachteiligten Menschen. Sie hatte bis zu ihrem 49. Lebensjahr als Lehrerin mit jugendlichen Schulversagern zu tun, die ihren Glauben an sich selbst erst wiederfinden mussten. Als die Rahmenbedingungen immer schlechter und die Schülerzahlen immer größer wurden, wechselte sie in den Hauptbahnhof.

Unsicher wirken diese Menschen dem Eintretenden gegenüber. Die Leiterin erklärt: „Sie sind oft aus dem System herausgefallen. Ein großer Teil ist in einer besonders schwierigen sozialen Lebenslage, ist arm, psychisch krank und depressiv, ist seelisch, körperlich, geistig oder im materiellen Sinne behindert.“ Manche lebten ausschließlich vom Flaschensammeln und trauten sich nicht, beim Jobcenter einen Antrag zu stellen.

Und wie hilft ihnen die Leiterin? Sie sagt: „Wir versuchen, in ihnen jene kleine Flamme zu finden, die gut und schön und liebenswert ist. Sobald die Menschen merken, dass wir nach dem Wahren und Guten in ihnen suchen, wollen sie das auch zeigen. Dann flackert in ihnen die Hoffnung wie ein Licht auf. Sie kommen schmuddelig und duster rein, zuweilen auch aggressiv. Aber im Gespräch zeigen sie ihr verschüttetes besseres Ich.“

Das kleine Team mit Teilzeitkräften, Ehrenamtlichen und einer Frau im Freiwilligen Sozialen Jahr wird selbst psychologisch geschult. Und wenn es Probleme gibt, geht es zum Supervisor, zur Fallberatung bei schwierigen Fällen.

Meistens kommen neue Besucher eher unschlüssig in den Raum. Seltener ist der Auftritt einer Frau, die klipp und klar erklärte, sie sei in Not und brauche ein Gespräch. Das Besprechungszimmer ist klein, im hinteren Teil ist eine Liege aufgestellt, wenn es jemandem schlecht geht. Es kommen aber auch gestandene Männer in den Raum, denen der Knopf am Jackett abgegangen ist.

Tee steht für jedermann gratis bereit. Der Kaffee kostet 30 Cent. Dieses Geld muss auch ein armer Schlucker aufbringen. Hat er nur 11 Cent, bringt er in der Regel am nächsten Tag die fehlenden 19 Cent mit. Das sei doch Ehrensache, sagt Kempnich.

Zuweilen aber gibt es auch frische Brötchen von einer Bäckerei aus der weiteren Umgebung. Dann wird der Aufenthaltsraum zur Verfügung gestellt. Selbst Essen zu kochen oder zuzubereiten, verbietet das Lebensmittelgesetz.

Die Bahnhofsmission bietet Reisehilfen für Behinderte, aber auch für Kinder an. Begehrt ist das Programm „Kids on tour“ für Trennungskinder im Alter von 6 bis 14 Jahren. Ehrenamtliche pendeln mit jeweils fünf Kindern bis nach Hamburg und Berlin. Die Fahrkarte der Helfer stellt die Bahn zur Verfügung. Sie hält auch die Räume im Bahnhof mietfrei bereit.

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