Die Angst vor der Reanimation

Viele Menschen scheuen sich, im Notfall Erste Hilfe zu leisten. Nicht selten muss die Feuerwehr ihnen am Telefon gut zureden.

Die Angst vor der Reanimation
Foto: Stefan Arend

Renate Weber (Name geändert) hielt mit zitternder Hand den Telefonhörer. Sie hatte die 112 gewählt, neben ihr lag ihr Mann leblos am Boden. Er war nach dem Frühstück zusammengesackt, das Herz schlug nicht mehr. Am anderen Ende gab ihr eine Stimme von der Feuerwehr-Leitstelle Anweisungen, ihrem Mann eine Herzdruckmassage zu geben. Doch die 69-Jährige rührte sich nicht: „Ich kann das nicht!“, sagte sie nur.

Renate Weber ist bei weitem kein Einzelfall. Im Schnitt zweimal die Woche werden Rettungsteams zu Menschen mit Herzstillstand gerufen (siehe Artikel unten). Für die Betroffenen zählt jede Sekunde, deshalb kommt den Anrufern vor Ort eine lebenswichtige Rolle zu. Sie werden von der Leistelle instruiert, den bewusstlosen Menschen zu reanimieren. Da scheint es keine Alternative zu geben — und doch weigern sich viele der Anrufer.

Über die Gründe kann Feuerwehrsprecher Heinz Engels nur mutmaßen. Bei vielen Menschen sei der Erste-Hilfe-Kurs schon lange her, sie fühlten sich unsicher. „Dazu kommt die Angst, sie könnten dem Menschen wehtun.“ Und wohl ein generelles Gefühl der Überforderung in einer solchen Extremsituation.

Dazu kommt: Vom Helfer wird durchaus zupackender Einsatz erwartet. Von „fünf bis sechs Zentimetern“, um die der Brustkorb über dem Herz nach unten gedrückt werden soll, ist in den Leitlinien der Feuerwehr die Rede — und so wird das auch am Telefon gesagt.

Dazu kommen oft noch weitere Hürden, berichtet Engels. Eine Herzmassage auf einem Bett ist nicht möglich, sie funktioniert nur auf festem Untergrund. Schon damit, den leblosen Menschen vom Bett auf den Boden zu bekommen, sehen sich die ungewollten Helfer oft überfordert.

Die Disponenten in der Leitstelle am anderen Ende der Leitung haben klare Routinen, nach denen sie in solchen Gesprächen vorgehen, aber in solchen Momenten „müssen sie ihre Gesprächspartner auch mal hart rannehmen“, wie Engels erläutert. Zupacken sei in dem Moment wichtig, die Angst, den anderen zu verletzen, zweitrangig: „Besser verletzt als tot“, bringt Engels es auf den Punkt. Die meisten Helfer ließen sich so am Telefon schließlich überzeugen — aber eben nicht alle.

Die Feuerwehr würde es begrüßen, wenn mehr Leute ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse — die oft längst vergessen sind — mal wieder auffrischen. Zumal sich auch viel geändert habe. Helfer würden heute nicht mehr angehalten zu beatmen, nennt Heinz Engels ein Beispiel. Die Herzaktivierung werde inzwischen als vorrangig angesehen, der Sauerstoff im Blut reiche eine Weile.

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