Der Mensch als Idiot des digitalen Zeitalters

„Die Mitwisser“ von Philipp Löhle feierte Uraufführung im Central. Es erzählt eine negative Utopie, in der die Menschen alle Macht an die Smartphones delegieren. Mit fatalen Folgen.

Das Smartphone ist der heilige Gral unserer Gegenwart. Wir lesen damit Zeitungen, verschicken Bilder und Videos in die Welt, navigieren uns durch die Städte oder bezahlen per App unsere Einkäufe. Das kleine Technik-Wunderwerk unterhält, informiert und hilft uns, es ist unser Wissensarchiv, ja unser Gehirn. Nur hinterlassen wir beim Surfen durch die digitalen Welten Datenspuren. Dadurch kennen uns Internetriesen wie Google teilweise schon besser als wir uns selbst.

Das wissen wir längst und trotzdem offenbaren wir ihnen weiterhin freiwillig all unsere Gedanken und Geheimnisse. Von dieser Idiotie handelt das Stück „Die Mitwisser“ von Philipp Löhle. Der preisgekrönte Dramatiker hat es im Auftrag des Düsseldorfer Schauspielhauses geschrieben, nun wurde es im Central uraufgeführt. Eigentlich ein Science-Fiction-Stück. Doch der Autor legt es in der Vergangenheit an.

Regisseurin Bernadette Sonnenbichler folgt dieser Anweisung und versetzt die Handlung in die 1970er Jahre. Die Bühne hat Martin Miotk als Wohnraum mit runden Holzschränken und bunten Sofas gestaltet. Von Szene zu Szene verwandeln ihn die Akteure in ein Büro oder einen Party-Club. Per Leinwand wird Vorstadt- oder Büro-Ambiente simuliert. Die Darsteller wandeln in bunten und schrillen Outfits über die Bretter: etwa in türkisen Hemden und roten Hosen. Die Geschichte beginnt mit einem Sündenfall. Theo Glass hat sich und seiner Frau ein Mensch gewordenes Smartphone namens Herr Kwant angeschafft. Kwant erscheint aber ganz analog in Anzug und Aktentasche. Das künstlich intelligente Wesen soll das Leben erleichtern: das Wetter vorhersagen oder Kaffee machen. Doch bevor Kwant seine Dienste vollführen kann, muss das Ehepaar die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (hier in Form eines endlos langen Tonbandes) lesen und unterschreiben.

Unbekümmert willigen die beiden ein, ohne das Vertragswerk zu prüfen. Die Vorfreude auf den von Kwant garantierten Komfort überwiegt. Dementsprechend dominiert im ersten Teil des Stücks die gute Laune. Es wird geulkt und gelacht bis hin zum Klamauk. Kwant entertaint Theo mit Slapstick-Einlagen oder hilft, Annas Persönlichkeit zu bestimmen. Noch mehr: Er unterstützt Theo in seinem Job als Enzyklopädist für das Internationale Institut des allgemeinen Wissens. Alle Figuren erscheinen überzeichnet. Sebastian Tessenow mimt Theo als unsicher und gutgläubig, der zunächst blind ist für die Gefahren, die mit Kwant drohen. Tanja Schleiff gibt Anna als naives ahnungsloses Frauchen. Thomas Wittmann interpretiert Herrn Fürst, Theos Chef, als Schießbudenfigur und Lou Strenger spielt Sabrina, Theos Kollegin und Geliebte, als sexy blondes Dummchen.

Im Vergleich zum souverän und überlegen auftretenden Kwant (Florian Lange) wirken alle „menschlichen“ Akteure wie Idioten. Auch wenn das in der Überspitztheit nervt, spiegelt diese Regie-Idee treffend unsere Gegenwart wider: Die meisten von uns sind Idioten, die das Denken den künstlichen Intelligenzen überlassen. Die Folge erleben die Akteure im zweiten Teil. Die Leichtigkeit ist weg, es herrscht ernsthafte Schwere. Rauch wabert über die entleerte dunkle Bühne, wie nach einer Apokalypse. Alle Mitarbeiter des Wissens-Instituts sind von Kwants ersetzt worden. Sie treten als mehrfache Doubles auf oder unterhalten sich über Boxen. In ihrem Visier steht der einzige Widerständige: Theo. Er will seinen freien Willen bewahren und wehrt sich gegen eine Gesellschaft, die zum lebenden Algorithmus wird und avanciert zum „Pfeifenbläser“. Aus dem Pakt mit dem Big Data-Teufel kommt er allerdings nicht mehr heraus. Eine solide, sehenswerte Inszenierung.

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