Das Leben als Großstadt-Bauern auf dem Miet-Acker

WZ-Redakteur Matthias Rech und seine Freundin Christine Lüer probieren sich als Landwirte.

Düsseldorf. Der hornbebrillte Mitvierziger, Typ Apple-Jünger, versteht die Welt nicht mehr: „Guck mal, wie groß deren Fenchel ist, unserer ist total mickrig“, sagt er zu seinem Sohn. „Ich glaube, auf unserem Stück Acker ist die Erde schlechter.“ Wir heben, stolz ob des Fenchel-Neids des Nachbarn, die Köpfe aus dem Bohnenkraut und lassen uns auf eine Fachsimpelei unter Laien ein: „Ja ja, aber bei uns sind es die Erbsen, die nicht so richtig wollen.“ Großstadt-Bauern unter sich — wenig Ahnung von Landwirtschaft, aber viel Enthusiasmus.

Wir, das sind Christine Lüer und ich. Wir sind unter die Bauern gegangen. Gleich gegenüber der Bungalows am Kaiser-Friedrich-Ring haben wir von Bauer Willi Andree 45 Quadratmeter bestes Ackerland für 180 Euro gepachtet. Für eine Saison. „Es war schon immer ein Traum von mir, Selbstversorger zu sein“, sagt Christine. Da wisse man wenigstens, wo das Gemüse herkommt und wie es behandelt wurde. Die 29-jährige Landschaftsarchitektin kennt sich mit Pflanzen und Natur aus. Meine gärtnerischen Vorkenntnisse beschränkten sich auf die Zerstörung der mütterlichen Zierpflanzen, wahlweise mit Pfeil und Bogen oder Fußball, und Rasenmähen bei Oma.

Die Ackersaison begann im Februar mit einem Schock: Beim Treffen der Gemüsegärtner in der Niederkasseler Dorfschänke fielen Sätze wie: „Also im letzten Jahr waren einige Sonnenblumen viel zu hoch“ und „Manche Gärten sahen aus — unter aller Sau“. Waren wir versehentlich einem Kleingartenverein beigetreten? Bei der Übergabe der Gärten im März entspannte sich die Lage: Unsere Parzellen-Nachbarinnen entpuppten sich als ausgesprochen nett. Dafür tauchten neue Feinde auf: Kaninchen und Tauben, die unseren Setzlingen zu schaffen machten.

Wir netzten ein, jäteten, schaufelten und mulchten fortan jedes Wochenende — was übrigens ein sehr gutes Mittel gegen Altstadt-Kater ist. Und irgendwann im Mai explodierte das Feld. Aus zarten Blättchen waren medizinball-große Salatköpfe geworden. Die Kohlrabi wurden immer dicker und der Spinat wuchs nach jedem Pflücken ordentlich nach. „Das ist das Schönste, wenn man sieht, wie alles sich entwickelt und heranreift. Dann freut man sich richtig aufs Essen“, sagt Christine.

Unsere Freunde sind entweder fassungslos: „Ihr bezahlt auch noch für diese Plackerei?“ Oder sie lassen es sich mit uns gutgehen: „Endlich mal Zucchini, die nach etwas schmecken.“ Und: „Der Salat war super, auch mit den Kleintieren.“ Seit Juni sammeln wir fleißig Kartoffelkäfer ein und sind glücklich mit unserem Gemüse. Nur mit unserem Gefrierschrank nicht. Der platzt aus allen Nähten. Unser soziales Umfeld freut es — da fällt einiges ab.

So ganz haben wir das Großstadt-Essverhalten aber nicht abgelegt. Christine verrät: „Einmal wurden wir vom Ackern so hungrig, dass wir gleich am nächsten McDonald’s gehalten haben.“ Von wegen gesunde Ernährung.

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