Serie Düsseldorfer Geschichte(n) Ein Vierteljahrhundert Varieté im Apollo

Düsseldorf · Das Apollo-Theater feiert – und blickt zurück auf eine 25-jährige Geschichte, die eigentlich schon viel früher ihren Anfang nahm.

 Die nächste Generation ist bereits am Start: Die Geschwister Adrian, Vivian und Lili Paul (v.l.) vor einem Bild ihres Vaters Bernhard.

Die nächste Generation ist bereits am Start: Die Geschwister Adrian, Vivian und Lili Paul (v.l.) vor einem Bild ihres Vaters Bernhard.

Foto: Anne Orthen (ort)

Die Geschichte hat er schon oft erzählt, aber sie ist so schön, dass sie auch an dieser Stelle noch einmal erwähnt werden soll. Bernhard Paul hatte mit ihr stets die Lacher auf seiner Seite. „Du wirst noch mal unter der Brücke enden“, hat seine Mutter immer wieder gesagt, nicht wissend, dass sie recht behalten sollte. Denn das extravagante gläserne Theater-Gebäude des Architekten Niklaus Fritschi steht tatsächlich genau dort – unter der Rheinkniebrücke. Hausherr ist Bernhard Paul.

Mit dem Varieté hat sich der Roncalli-Gründer einen Traum erfüllt. Das Apollo war der erste Varieté-Neubau in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Und es ist nicht nur aufgrund seines Namens eine Hommage an das alte Apollo am Ende der Königsallee, das bis 1959 Deutschlands größtes Varieté Theater war, mit einer langen Geschichte. Inzwischen hat auch das Apollo, dessen Dach sich nur 40 Zentimeter unter der Rheinkniebrücke befindet, seine eigene Geschichte. In diesem Jahr ist es 25 Jahre alt und feiert am 17. Oktober mit einer großen Gala seinen Geburtstag. Am 4. August startete die „Große Jubiläumsshow 25 Jahre Apollo“, so der Titel.

Ein Vierteljahrhundert ist das Apollo somit alt und die Entstehungsgeschichte war nicht immer einfach. Exakt am Tag der Eröffnung, also am 17. Oktober 1997, hat der Roncalli-Chef vom damaligen Ministerpräsidenten Johannes Rau bei der Premiere einen Umschlag erhalten. Inhalt: die Baugenehmigung.

Das Haus, das bis zum letzten Tag während der Sommerpause renoviert wurde, glänzt wieder gülden – sogar die Toilettentüren. Es ist ein außergewöhnliches Gebäude – oben der Balkon mit Klappsitzen wie im Kino, wo der Zuschauer Snacks und Getränke zu sich nehmen kann; im großen Saal gibt es für Gäste Sechser-Tische, an denen sie speisen können. Hatte in den Anfangsjahren bis 2012 die LSG (Lufthansa Service Catering) die Küche übernommen, so kocht heute das Apollo in Eigenregie.

Insgesamt gab es bis heute 133 unterschiedliche Programme und 7697 Vorstellungen, die mehr als 2,8 Millionen Besucher gesehen haben und sich meist auch bestens amüsierten. Anfangs wechselten die Programme alle vier Wochen, heute nur noch alle drei Monate.

Aber es gab auch den einen oder anderen Tiefpunkt: Da musste ein Conférencier ausgewechselt werden, ein Mentalist hatte eine Trefferquote von nur 50 Prozent. Zwischendurch gab es Streit mit dem Vermieter, bis man sich 2010 vor dem Landgericht gütlich einigte.

Seit Jahren will Bernhard Paul, dass der Zirkus als Kulturgut anerkannt wird und nicht als Wirtschaftsgut gilt. Dafür kämpft er, denn dieses Gesetz stammt noch aus dem Dritten Reich. Inzwischen gibt es Signale, das Gesetz zu ändern.

2012 echauffierte sich Paul bei einer Premierenfeier über gestiegene Gema-Gebühren und prognostizierte sogar, ihm bliebe keine andere Wahl, als das Haus zu schließen. Dennoch schaffte es der Roncalli-Chef mit anderen Varieté-Leitern die Gema zu überzeugen, ihre Tarifreform zu überdenken. Der Verband, der die Rechte von Komponisten vertritt, kam den Varietés deutlich entgegen.

Das war zu einem Zeitpunkt, als auf der kleinen Bühne links vom Publikum schon lange keine Live-Band mehr spielte. Die meisten Künstler brachten ihre eigene Musik vom Band mit, damit sie ein besseres Timing hatten. Live-Musik kam erst wieder mit Adrian Paul, dem Sohn des Impresarios, zurück ins Apollo.

Heute laufen, oder besser tanzen, vier junge Damen mit wechselnden knappen Kostümen als Roter Faden durchs Programm. Die Mädels haben das Nummerngirl abgelöst, es war ein Relikt aus alten Zeiten. Das Mädchen schritt in fescher Uniform nach jedem Akt mit einem goldenen Stern, auf dem eine Ziffer stand, über die Bühne und lächelte…

Unvergessen sind die „Thuranos“ mit ihrer Drahtseilnummer

Ein Relikt aus alten Zeiten war auch Konrad Thur. Vielen besser bekannt als der Mann mit dem Hütchen. 1909 in Düsseldorf geboren, trat er schon im Apollo an der Kö auf. Er galt als der älteste Artist der Welt und gab Gastspiele in renommierten Häusern. Im Apollo Varieté gehörte er fast zum Inventar.

Regelmäßig war er dort mit seinem Sohn John als die „Thuranos“ mit seiner Drahtseilnummer zu sehen. 2004 feierte er, immer noch aktiv, seinen 95. Geburtstag. Zu den Gratulanten gehörte damals auch Ministerpräsident Peer Steinbrück. Auch seinen 100. wollte Thur im Apollo begehen – auf der Bühne. Doch der älteste Artist der Welt, der noch seinen 98. Geburtstag im Apollo feierte, starb im selben Jahr im Haus seiner Tochter in Dänemark.

Es gab beeindruckende Künstler und Clowns wie beispielsweise Peter Shub. Legendär seine Nummer mit dem unsichtbaren Hund an der Leine. Grandios auch die Sorellas - ein männliches Trapez-Duo, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Wegen eines Rückenleidens kann Rodrique Funke nun nicht mehr am Trapez arbeiten.

Sein Freund Christoph Gobet hat seit Kurzem einen neuen Partner: Julian Kaiser. Vielleicht werden wir ihn auf der Bühne im Apollo wiedersehen. Die Sorellas waren übrigens Teil der wohl besten Show mit Tim Fischer. „Ich hab das Paradies gesehen“, so der absolut passende Titel, mit dem der Chansonniers Abend für Abend brillierte.

Eindrucksvoll auch die Zebras und nicht zuletzt Stammgäste wie die Pellegrini Brothers. Die vier begeistern immer wieder mit ihrer Handbalance-Akrobatik. Und noch ehe sie loslegen, bringen sie die weiblichen Zuschauer zum Kreischen, wenn sie ihre weißen Jacken aufreißen und ihre Sixpacks zeigen. Bei der Geburtstagsfeier des Apollo vor zehn Jahren standen die Pellegrini Brothers gerade auf der Bühne, als ein Feueralarm ausgelöst wurde, der das Kreischen der Frauen übertönte. Die Gäste mussten den Saal verlassen, die Feuerwehr kam mit einem Großaufgebot und konnte wegen eines Fehlalarms schnell Entwarnung geben. Nach einer kurzen Pause machten die Pellegrini Brothers weiter.

Es gab viel Spektakuläres und viel Romantisches. Immer wieder schön: der Abgang der Künstler nach dem Schlussapplaus. Dann hob sich der hintere Vorhang und die Künstler sind noch einmal im Foyer hinter der großen Glasscheibe zu sehen und winken.

Diese Tradition gibt es nicht mehr. An ihrer Stelle sind die phantastischen Bühnenbilder von Dimitri Filbert getreten, ein wahrer Kulissenkünstler, ein Designer, der jedes Bild in der Roncalli eigenen Werkstatt baut.

Dimitri gehört zur neuen, jungen Generation, zu der auch der Sänger Max Buskohl zählt. Denn mit der rockigen Show „Route 66“ im Jahr 2016 kam wieder Livemusik ins Varieté. Paul Junior spielte bei dieser Show nicht nur die Rhythmusgitarre, sondern führte als damals 25-Jähriger erstmals Regie. Es weht ein frischer Wind. Bernhard Paul, inzwischen 75, hat seine drei Kinder, die alle im Zirkus aufgewachsen sind, für seine Nachfolge präpariert. 2019 traten Adrian, Vivian und Lili gemeinsam mit einer Rollschuh-Nummer auf, eine Überraschung für den Vater, denn er wusste nichts davon.

Das war vor drei Jahren. Lilli, die zwischenzeitlich Let‘s Dance gewann, ist viel unterwegs. Vivian und Adrian sind bereits in die Fußstapfen ihres Vaters getreten und haben die ersten Geschäfte im Roncalli-Unternehmen übernommen, Adrian ist künstlerischer Leiter, seine Schwester für das Casting verantwortlich. Und nach der langen Corona-Schließung laufen die Shows nun wieder an.

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