Theater Bürgerbühne in Düsseldorf - Flüchtlinge suchen nach der deutschen Seele

Düsseldorf · Zehn Laienschauspieler aus acht Ländern spielen Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ auf der Bürgerbühne. Zwei kamen als Flüchtlinge aus Syrien.

 Rami Lazkani (l.) und Nawar Khadra kamen aus Syrien nach Düsseldorf.

Rami Lazkani (l.) und Nawar Khadra kamen aus Syrien nach Düsseldorf.

Foto: Julia Koch

„Die deutsche Seele hat am Anfang nur ein Containerzimmer mit elf Quadratmetern und teilt sich eine Toilette mit elf Leuten. Aber sie ist sicher, am richtigen Ort zu sein“, sagt  Ava Azadeh und spricht damit für viele, die neu in dieses Land kamen.

Zehn Schauspieler aus verschiedenen Kulturen, mit unterschiedlichstem Äußeren, Akzenten und Sprachkenntnissen spielen den Reisebericht des vielleicht bekanntesten deutschen Migranten nach: Heinrich Heine emigrierte 1831 nach Paris, wo er heiratete und Schriften verfasste, während man sie zeitgleich in seiner Heimat verbrannte. Als ihn 13 Jahre später die Sehnsucht nach der Heimat packt, reist er nach Hamburg. In „Deutschland. Ein Wintermärchen“ verarbeitet die Bürgerbühne Düsseldorf das satirische Versepos mit einem interkulturellen Ensemble, welches nicht selten ihre eigenen Erfahrungen rund um Flucht, die alte und die neue Heimat verarbeiten. Das Ensemble befindet sich auf der Busfahrt nach Hamburg, wo sie ihre erste Vorstellung von Heines Wintermärchen aufführen werden. Wenn sie den Dichter zitieren, tragen sie symbolisch seinen typischen Hemdkragen.

Und sie geben den Zuschauern einen Eindruck davon, was es bedeutet Außenseiter zu sein und sich Fremd zu fühlen, wie es ist, tausende Kilometer von allem Vertrauten entfernt zu sein und von der Sorge der Eltern, dass Kind würde „zu deutsch“ werden. „In Deutschland sind die Menschen Fremden misstrauisch gegenüber. Wenn man mit einem Kind in der Stadt spielen will, ziehen die Eltern es weg, als wollte man etwas Böses“, erzählt Nawar Khadra aus Syrien. „Werden wir deutscher wenn wir Heine sprechen?“ fragt die Amerikanerin Amy Tawfik Frega, die ägyptische Wurzeln hat.

Neben Bezügen zur originalen Geschichte gewinnt jeder Schauspieler Zeit, einen Teil seiner eigenen zu erzählen. Vom Verlassen der Heimat, dem manchmal gefährlichen Weg, der Ankunft im Unbekannten und den Reaktionen der Deutschen. Rami Lazkani ist 43 und kam 2015 an den Münchner Hauptbahnhof. „Die Deutschen applaudierten mir und ich war so gerührt, dass ich weinen musste. Es ist nicht selbstverständlich gewesen, uns so zu begegnen. Mich hat das sehr beeindruckt.“

Als Lehrer und Postbote gearbeitet

Lazkani kommt aus Aleppo in Syrien, wo er als Mathelehrer arbeitete, bis es zu gefährlich wurde. Da er schon als junger Erwachsener in Deutschland seinen Master machen wollte, entschied er sich, die Flucht als Chance zu sehen. Anders als bei vielen Geflüchteten wird sein Universitätsabschluss hier anerkannt. Sechs Monate arbeitete er bereits als Lehrer in einem Gerresheimer Gymnasium, seine Deutschkenntnisse befinden sich mittlerweile auf höherem C1-Niveau. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er als Postbote. „Ich mache Sport und verdiene Geld“, sagt er dankbar. Zur Schauspielerei kam er, weil die Mutter eines Schülers die Bürgerbühne vorschlug. Das ‚Wintermärchen‘ ist schon Lazkanis zweites Stück in Düsseldorf, aktuell probt er für sein erstes Stück außerhalb der Bürgerbühne. In Düsseldorf fühlt er sich zu Hause „Ich kam nicht nach Europa, weil es hier Geld und Arbeit gibt, mir geht es um Demokratie und Menschlichkeit.“

Die zehn Darsteller zeigen eine bemerkenswerte Harmonie und halten so manchen den Spiegel vor. „Ich will nicht in den Osten. Ich will die Leute da gar nicht kennen lernen!“, sagt Prudence Mvemba Tsomo. „Wenn du das sagst, bist du genau wie sie“, antwortet Ava Azadeh.

„Immer der Ausländer gewesen - egal wo“

Unter den Darstellern des Theaterstücks ist auch der Syrer Nawar Khadra (27). Er wurde in Damaskus geboren und lebte lange in Saudi-Arabien, das Land was sich für ihn am meisten nach Heimat anfühlt. Syrien musste seine Familie verlassen, weil sich der Vater gegen Machthaber Assad aussprach. Kharda lebte eine Zeit lang im Sudan, dann in der Türkei: „Ich war immer der Ausländer. Egal wo ich lebte“, sagt er lachend. Schon früh bestand der Traum als Schauspieler zu arbeiten, dennoch entscheid er sich für das Studium der Zahnmedizin. Der Plan es zu beenden, scheiterte, sodass Khadra zu seinem Onkel nach Schweden wollte. Doch auch dort wurden die Fachsemester nicht anerkannt. In Deutschland kann er sich zumindest einen Teil anrechnen lassen und bewirbt sich aktuell in Düsseldorf für das vierte Semester. „Ich liebe an Deutschland die Disziplin und hasse die Bürokratie“, sagt der 27-Jährige. Der Syrer würde gerne hier studieren, aber Bafög bekommen nur diejenigen, die einen unbefristeten Aufenthalt haben und den bekommt man nur, wenn man die Probezeit im Beruf besteht. Seine Aufenthaltserlaubnis läuft aber ab, bevor er Gelegenheit hat, die Probezeit an seinem Arbeitsplatz, einer Zeitarbeitsfirma, zu bestehen. „Dürfte ich als Zahnarzt arbeiten, könnte ich viel mehr Steuern zahlen als jetzt und würde dem Staat besser helfen können.“

Beide Geflüchteten erhielten bei ihrer Integration Hilfe vom Institut für Internationale Kommunikation, bei dem sie Deutsch lernten und an Freizeitangeboten teilnahmen. „Ich fühle mich wohl hier, habe Freunde aus vielen Kulturen und würde gern bleiben. Aber wenn es nicht klappt, ziehe ich weiter nach Rumänien“, sagt der Flüchtling.

„Deutschland. Ein Wintermärchen“ wird noch bis November des Jahres aufgeführt.

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