Mahn- und Gedenkstätte Abgeschoben ins „Niemandsland“

Düsseldorf · Bei der „Polenaktion“ des NS-Regimes im Oktober 1938 wurden auch 441 Düsseldorfer Juden an die polnische Grenze deportiert – doch auch die Polen wollten sie erst nicht wieder aufnehmen. Was aus ihnen wurde, zeigt jetzt eine Ausstellung der Mahn- und Gedenkstätte.

 Stellten die Sonderausstellung vor (v. r.): Institutsleiter Bastian Fleermann, Yael Feiler und ihre Tochter Naomi Gartz-Feiler sowie Kuratorin Hildegard Jakobs.

Stellten die Sonderausstellung vor (v. r.): Institutsleiter Bastian Fleermann, Yael Feiler und ihre Tochter Naomi Gartz-Feiler sowie Kuratorin Hildegard Jakobs.

Foto: Stadt Düsseldorf / Lammert/Stadt Düsseldorf / Ingo Lammert

Yael Feiler und ihre Tochter Naomi Gartz-Feiler sind extra aus Israel nach Düsseldorf gekommen, weil sie so lange so wenig vom Schicksal ihrer Vorfahren in Nazi-Deutschland wussten. Und doch unbedingt mehr wissen möchten. Yaels Großeltern Saul und Frieda Feiler (geborene Alexander) gehörten zu den Düsseldorfer Juden, die bei der sogenannten „Polenaktion“ in der Nacht auf den 28. Oktober 1938 zuhause verhaftet und per Zug an die deutsch-polnische Grenze deportiert wurden. „In unserer Familie war das später nie ein großes Thema, die Großeltern und Eltern haben kaum was erzählt, es hieß nur, wir waren von der Shoah nicht betroffen“, sagt Yael Feiler anlässlich der Eröffnung der Sonderausstellung „Im Niemandsland“ in der Mahn- und Gedenkstätte am Montag.

Die rabiate Abschiebung der polnischstämmigen Juden, die Nazis nannten sie „Ostjuden“, wird im historischen Gedächtnis überlagert von der kurz darauf folgenden Pogromnacht des 9. Novembers. Beide Ereignisse stehen in einem engen Zusammenhang, denn das NS-Regime nahm bekanntlich den Anschlag des jungen Herschel Grynszpan auf den Legationssekretär von Rath in der deutschen Botschaft in Paris als Vorwand für die Exzesse gegen Juden in der „Kristallnacht“. Der verzweifelte Grynszpan wollte mit seinen (tödlichen) Schüssen gegen die gewaltsame Ausweisung der polnischen Juden protestieren, nachdem ihm seine Schwester geschrieben hatte, wie sie und die Eltern in Hannover verhaftet und nach Zbaszyn (Bentschen) deportiert worden waren.

Dieses Schicksal teilten etwa 17  000 in Deutschland lebende Juden, darunter Marcel Reich-Ranicki. Die Mahn- und Gedenkstätte um Bastian Fleermann und Hildegard Jakobs hat nun in akribischer Recherchearbeit die Namen und zum Teil auch die Schicksale der insgesamt 441 betroffenen Düsseldorfer rekapituliert, die in der kalten Nacht vom 27. auf den 28. Oktober 1938 in ihren Wohnungen aus dem Bett geholt, verhaftet und am nächsten Tag per Zug nach Zbaszyn gebracht wurden: Männer, Frauen und 144 Kinder.  „Im Niemandsland“ beleuchtet in nur anderthalb Räumen komprimiert und doch sehr anschaulich und erhellend die wichtigsten Aspekte der Geschehnisse: Wie kam es dazu,  wer waren die beteiligten Täter, wer waren die Opfer und was wurde aus ihnen? Präsentiert werden ebenso nüchterne Fakten und Zusammenhänge wie ergreifende Zeitzeugenberichte.

119 der deportierten Düsseldorfer haben die „Polenaktion“ überlebt

Die staatlich organisierte Ausweisung durch das Regime war auch eine Replik auf den Beschluss der Regierung Polens im März 1938, allen polnischen Staatsbürgern, die länger als fünf Jahre im Ausland lebten, die Staatsbürgerschaft zum Stichtag 30. Oktober zu entziehen. Das richtete sich in erster Linie gegen die eigenen jüdischen Mitbürger. Man wollte nicht, dass sie aus Deutschland und Österreich vor den Nazis heim nach Polen flohen. Und in Europa rührte sich auf der Konferenz von Evian im Juli 38 auch kein Finger für diese Flüchtlinge, als es darum ging, sich auf einen Verteilungsschlüssel zu einigen. Nicht nur Bastian Fleermann erinnern diese Abwehrreflexe beklemmend an aktuelle Flüchtlingsdiskussionen in Europa.

Und so landeten auch hunderte Düsseldorfer, viele von ihnen am Rhein geboren und bestens integriert, im sprichwörtlichen Niemandsland an der deutsch-polnischen Grenze. Die Juden polnischer Abstammung machten etwa ein Fünftel der Mitlgieder der Jüdischen Gemeinde Düsseldorfs aus, meist waren es kleinbürgerliche Textil-Handwerker oder Kaufleute, viele strenggläubig. Abgeschoben von Deutschland, nicht oder nur widerwillig aufgenommen von den Polen.  Laut Mahn- und Gedenkstätte haben 119 von ihnen überlebt, mindestens 222 kamen ums Leben, insbesondere nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Krieg, meist bei Erschießungen in den vielen von den Deutschen eingerichteten Ghettos. Einige aber auch später in russischen Lagern in Sibirien.

Die Familie Feiler hatte Glück und konnte aus dem Niemandsland über Warschau nach Palästina fliehen. Dort trafen sie mit Rolf Feiler zusammen, der als 17-Jähriger unmitttelbar vor der Polenaktion dorthin ausgewandert war. Er wiederum ist der Vater von Yael Feiler.


Die Ausstellung läuft vom 29. Oktober bis 15. März in der Gedenkstätte an der Mühlenstraße 29, geöffnet Di-Fr und So 11-17, Sa 13-17 Uhr; Eintritt frei.

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