Düsseldorf „Auf dem Hof ist immer was los“

Die studierte Sonderpädagogin Christina Tschorn führt den Gutshof Niederheid.

Düsseldorf. Wenn Christina Tschorn vorher gewusst hätte, was auf sie zukommt - wer weiß, ob sie den Gutshof Niederheid als Mieterin übernommen hätte. Jetzt ist sie glücklich: „Ich habe meinen Traumjob gefunden“, erzählt die 33-Jährige. Seit über sechs Jahren gibt sie auf dem Gelände Reitunterricht und betreibt einen Kinderbauernhof, zusätzlich hat sie Reiten mit kranken oder verhaltensauffälligen Kindern aufgebaut. „Ich habe unterschätzt, was es bedeutet, so ein Projekt zu leiten — wie viel Bürokratie dahintersteckt“, erzählt sie. Dazu kommen Gebäudeteile, die teils durch Schimmel unbewohnbar sind. Die Sanierung ist teuer, ein Investor, der das übernehmen würde, fehlt. Das schreckt sie aber nicht. „Ich glaube an eine Lösung.“

Sie weiß, dass Politiker vor Ort hinter ihr stehen und den Hof erhalten wollen. In der Reithalle ist Gelassenheit und Geduld gefragt — ihre Energie fließt dorthin, da ist kaum Platz für anderes. Denn neben klassischen Reitstunden hat sich Tschorn auf die Arbeit mit behinderten, kranken, schwierigen Kindern und Jugendlichen spezialisiert. ADHS, autistische Formen, geistige Behinderungen - die Schwierigkeiten, mit denen ihre jungen Reiter zu kämpfen haben, sind ganz verschieden.

Tschorn ist für den Umgang gerüstet. Ihr Studium in Sonderpädagogik, ihre eigene Reiterfahrung von Kindesbeinen an, ihre Weiterbildung in heilpädagogischem Reiten, das alles führte letztlich zu ihrem jetztigen Beruf: „Ich verbinde alles miteinander, was mir Freude macht“, sagt sie. Als der Gutshof zur Übernahme stand, griff sie kurzerhand zu, baute das Angebot aus. 350 Kinder und Jugendliche gehen jetzt pro Woche bei ihr ein und aus - betreut von ihr selbst, aber auch von Pädagogen aus Schulen und Einrichtungen sowie Kollegen. Teils kommen sie aus AGs aus dem Ganztag, teils stammen sie aus Fördereinrichtungen. Die Pferde reagieren gelassen auf die jungen Reiter. „Sie haben feine Antennen und zeigen meist unglaubliche Ruhe“, sagt Tschorn. „Vertrauen baut sich auf.“ Oft heißt es einfach nur, gemächlich im Kreis im Schritt reiten, an der Lounge. Andere Teenager machen irgendwann in den Regelkursen mit, lernen traben, galoppieren. Gerade Gruppen aus Sonderpädagogischen Einrichtungen greifen aber eher auf die Angebote im Bauernhof zurück. „Da geht es darum, eine Beziehung zu den Tieren aufzubauen - zu anderen Lebewesen“, erklärt Tschorn.

Simone, die vor drei Jahren mit der Diagnose ADHS kam, bevorzugt das Reiten. Sie wirkt dabei ruhig und konzentriert, glücklich. Geduldig dreht sie auf ihrem Pferd Runde um Runde, übt eine kleine Choreografie aus abgeschrittenen Figuren. Der gleichmäßige Gang des Tieres hat fast schon etwas Meditatives. „Ohne Reiten kann ich es mir gar nicht mehr vorstellen“, sagt die 15-Jährige. Andere Kinder leiden an Mutismus - sie können aus psychischen Gründen nicht sprechen, so Tschorn. „Ein Kind hat einmal angefangen, erst mit dem Tier zu reden, und später dann auch mit mir. Das war ein riesen Schritt.“

Die Reitpädagogin wirkt immer noch bewegt von diesem Erlebnis, überzeugt von ihrer Arbeit. Dafür nimmt sie in Kauf, täglich frühmorgens aufzustehen und bis nachts noch an offiziellen Papieren zu sitzen, an Förderanträgen, Bestätigungen, Rechnungen. Die Ferien sind besonders intensiv, mit Freizeiten angefüllt. Nur über die Winterferien hatte sie jetzt mehr Ruhe. „Das ist die einzige Zeit des Jahres, wo wir wirklich mal dicht machen.“

Beim Versorgen der Tiere wechselt sie sich mit Mitarbeitern ab. Und sie ist startklar fürs neue Jahr. „Das ist okay so für mich. Ich liebe diesen Beruf und bin neugierig, was die nächsten Monate mir bringen. Mit den Kindern und den Tieren ist immer was los.“

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