„Ariadne“: Ein Ort für obdachlose Frauen

Obdachlosigkeit gilt häufig als reines Männer-Phänomen. Dabei leben hunderte Frauen auf der Straße. Zuflucht finden sie in der „Ariadne“.

 „Ariadne“: Ein Ort für obdachlose Frauen
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Als Julia B. nach Berlin zog, stand für sie fest, dass ihr Sohn bald zu ihr ziehen würde. Doch das verhinderte ihr Noch-Ehemann, verbot dem Kind den Kontakt. Irgendwann hielt die 49-Jährige das nicht mehr aus. Von heute auf morgen kehrte sie zurück nach Düsseldorf — und stand hier ohne Job und ohne Wohnung vor dem Nichts. Eine abgeschlossene Ausbildung hat sie nicht, die schwierige Trennung, die noch immer nicht über die Bühne ist, setzte ihr zu. Sie landete bei „Ariadne“, der Notaufnahme für obdachlose Frauen der Diakonie in der Oberbilker Querstraße.

Düsseldorf nimmt Julia B. seither ganz anders wahr. „Man lernt die Stadt anders kennen, auch die Menschen“, berichtet sie. „Man wird herabgesetzt, auch ignoriert.“ Kino kann sie sich nicht leisten, Restaurants auch nicht. Schwimmbäder und Museen gewähren Hartz-IV-Empfängern Rabatte, aber die 49-Jährige schämt sich, die Bescheinigung vorzulegen und sich abstempeln zu lassen. Also lebt sie zwar in ihrer Heimatstadt von einst — aber von ihrem gesellschaftlichen Leben ist sie heute weitgehend abgekoppelt.

Es ist eine von fast 300 Geschichten, die „Ariadne“-Leiterin Stefanie Volkenandt im vergangenen Jahr gehört hat — so viele Frauen wurden in der Einrichtung aufgenommen. Bei vielen spielte das Thema Trennung eine Rolle, viele hatten Gewalt erfahren. Gemeinsam haben sie aber auch, dass sie im Stadtbild fast nie präsent sind — Obdachlosigkeit wirkt wie ein männliches Problem; dabei sind laut Volkenandt ein Viertel bis ein Drittel der Wohnungslosen Frauen. Doch den Schritt tatsächlich auf die Straße zögern die meisten so lange wie möglich hinaus. „Viele bleiben lange in sehr prekären Wohnverhältnissen“, sagt Volkenandt. „Frauen haben eine extrem hohe Leidensfähigkeit.“

Aber auch eine große Energie, wenn sie sich letztlich dazu entschließen, ihrer Situation zu entkommen, hat Stefan Weiller erlebt. Er ist Initiator des Projektes „Winterreise“, bei dem arme und wohnungslose Menschen bundesweit ihre Geschichten erzählen. Jetzt macht er Station in Düsseldorf: Zum zehnjährigen Bestehen der „Ariadne“ wird es am 15. März eine Düsseldorfer „Winterreise“ geben. Mit Geschichten obdachloser Frauen aus Düsseldorf. Julia B. ist eine von ihnen.

Eine andere ist Dagmar S. (33). Auch in ihrem Leben war eigentlich mal alles in Ordnung. Bis sich die gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau in den falschen Mann verliebte. „Er hat Drogen geschoben, Frauen geschoben“, sagt sie. Er trieb sie in die Prostitution, schlug und demütigte sie. „Aber ich habe ihn aufrichtig geliebt.“ Von ihm los kam sie erst, als er im Knast landete. Da fasste sie wieder Fuß — bis der nächste Mann kam, den sie wieder liebte, obwohl er Drogen nahm, sie misshandelte und betrog. Und den sie wieder entschuldigte, weil er doch eine schwere Kindheit gehabt hatte und sie ihm helfen wollte. Bis sie an Krebs erkrankte, deshalb ihren Job und schließlich die Wohnung verlor.

Wie Julia B. lebt sie heute im Projekt „Wohnen für Frauen“ der Diakonie an der Icklack, erhält dort Hilfe von Sozialarbeitern, macht eine Therapie. Sie hat gelernt: „Man muss gut für sich sorgen und auf sich aufpassen.“ Nicht nur auf kaputte Männer. Wie Julia B. hat auch Dagmar S. ein bescheidenes Ziel: ein normales Leben in einer eigenen Wohnung, mit ihren Kindern. „Ich bin guter Dinge“, sagt sie.

Es sind diese Geschichten, die Stefan Weiller dem Düsseldorfer Publikum der „Winterreise“ nahebringen will. „Die Frauen haben in erstaunlicher Offenheit von ihrem Leben berichtet.“ Es gehe ihm aber nicht um detaillierte Biografien. „Wichtig ist, die Wege aufzuzeigen, die in Wohnungslosigkeit, Armut, Ausgrenzung führen.“

Insgesamt mehr als 300 Menschen in ganz Deutschland hat Stefan Weiller im Rahmen des Projektes inzwischen interviewt. „Und ich habe gar nichts gelernt dabei, als dass jeder Mensch seine eigene Geschichte hat.“ Einige davon hören die Besucher im März in der Johanneskirche — der Eintritt ist frei, aber um Spenden wird gebeten. Sie gehen natürlich an die vielen wohnungslosen Frauen in Düsseldorf.

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