Stadtteile Appartements statt Buche & Co.: „Baurecht geht vor Baumrecht“

Düsseldorf · Unterbilk An der Reichsstraße soll ein Bauprojekt entstehen, dem bis zu 100 Jahre alte Bäume weichen müssen.

 Der Blick aus dem Wintergarten der Familie Vitsious.

Der Blick aus dem Wintergarten der Familie Vitsious.

Foto: ja/Hötzendorfer

Noch genießen Frank und Maria Vitsious den Blick aus ihrem Wintergarten auf acht alte Bäume. Die sollen, geht es nach der Animo Grundstücksgesellschaft Oberhausen und damit dem Bauherrn, der das Grundstück an der Reichsstraße 18/18a erworben hat, bald einem Wohn- und Geschäftshaus weichen.

Die Familie lebt seit zwölf Jahren im Eckhaus Nr. 13 an der Wasserstraße. Die Bäume, zu denen auch eine über 100 Jahre alte Rotbuche zählt, waren bis vor wenigen Monaten Teil ihres Gartens. „Der wurde auf der einen Seite durch eine Mauer zur Reichsstraße und zur anderen durch das so genannte alte Kutscherhaus auf dem Nachbargrundstück Wasserstraße 12 begrenzt“, erklärt Frank Vitsious. Das kleine „Wäldchen“ wird nicht nur von seinen Nachbarn sehr geschätzt, sondern auch von den Anwohnern der Nebenhäuser, wie der Kanzlei Deckers, Wehnert und Elsner, die dort seit vielen Jahren ihre Büroräume hat. „Wir waren sehr überrascht und auch ein wenig traurig, als das alte Kutscherhaus abgerissen wurde“, bedauert Daniela Mohr, Mitarbeiterin der Kanzlei, die von ihrem Bürofenster aus ebenfalls den Blick auf das kleine Baum-Ensemble genießt. „Es wäre wirklich schade, wenn die Bäume wegmüssten.“

Zeitgleich mit dem Kutscherhaus verschwand auch die Mauer zur Reichsstraße. „Plötzlich stand stattdessen ein einfacher Bauzaun da, der unseren Garten vom Parkplatz auf der Reichsstraße neben dem Umspannwerk trennte“, erinnert sich Frank Vitsious. Doch es kam noch dicker. „Plötzlich hieß es von Seiten der SWD, der Eigentümerin unseres Mietshauses, es habe einen Vermessungsfehler gegeben und die Bäume gehörten nicht mehr zum Garten.“

Den haben die Anwohner aber nicht nur jahrelang genutzt, sondern auch für dessen Pflege gezahlt. Eine Nachfrage beim Bauamt zu diesem vermeintlichen Messfehler ergab, dass „im Einvernehmen mit allen Beteiligten (Stadt Düsseldorf, Animo und den Eigentümern des Grundstücks Wasserstraße 12/13), entsprechend den Ausweisungen des rechtsverbindlichen Bebauungsplanes 5376/39 die Flächenverteilung neu gebildet“ wurde. Somit liege, laut Stadt, kein Messfehler vor.

Nun ist es natürlich bedauerlich, wenn eine Grundstücksgrenze wegen einvernehmlicher Umverteilungen verschoben wird, wenn ansonsten alles für die betroffenen Anwohner beim Alten bleiben kann. Doch für das bislang nur als Parkplatz genutzte Grundstück Reichsstraße 18/18a hat sich mit der Animo ein Investor gefunden, der dort schon seit 1998 ein Wohn- und Geschäftshaus hochziehen will. Erste Planungen, das dort ebenfalls gelegene Umspannwerk unter die Kniebrücke zu verlegen, scheiterten aus Kostengründen. Denn das Vorhaben wäre mit rund zehn Millionen Euro zu Buche geschlagen.

Anfang Juni erging ein Beschluss der Bezirksvertretung 3 (u.a. Unterbilk, Bilk), dass der Bauherr unter bestimmten Auflagen, sein Vorhaben realisieren kann. Zu diesen Vorgaben zählt die Bereitstellung von mindestens 29 Stellplätzen in der geplanten Tiefgarage und dass 20 Prozent des Gebäudes als Wohnfläche genutzt werden müssen.

Dem folgt die Animo mit 36 Appartements mit einer durchschnittlichen Größe von 49 Quadratmetern über den zweigeschossigen Büroflächen. Der Neubau braucht entsprechend Platz und da stehen die acht alten Bäume im Weg. „Zu meinem hohen Bedauern gilt leider Baurecht vor Baumrecht, was in Düsseldorf oft rücksichtslos praktiziert wird“, erklärt Dietmar Wolf (Bündnis 90/Grüne), 2. stellvertretender Bezirksbürgermeister, dessen Fraktion sich gegen die Fällungen ausgesprochen hat und auf eine entsprechende Prüfung durch das Garten-, Forst- und Friedhofsamt besteht.

Mit Neupflanzungen ist den Anwohner wenig geholfen

Auch Bezirksbürgermeister Marko Siegesmunds (SPD) Begeisterung bezüglich der Baumfällungen hält sich in Grenzen. „Natürlich freuen wir uns über jedes Bauvorhaben, das vor allem mehr Wohnraum schafft“, erklärt er. „Aber es ist immer traurig, wenn dafür Bäume gefällt werden müssen, vor allem, wenn es sich um so alte Exemplare handelt.“ Ihm sei klar, fügt der Bezirksbürgermeister hinzu, dass den Anwohnern mit der Aussage, der Bauherr wird dafür neue Bäume pflanzen, nur wenig geholfen ist. „Wir wissen alle, wie lange ein Baum braucht, bis er diese stattliche Größe wie an der Reichsstraße erreicht hat.“ Von Seiten der Stadt wurde zumindest angeregt, die Flachdächer des neuen Riegels zu begrünen. Die Entscheidung des Garten-, Forst- und Friedhofsamtes zu den Fällungen steht allerdings noch aus.

Die Anwohner im Eckhaus Wasserstraße beruhigt dies keineswegs. „Durch die Verkleinerung unseres Gartens von vorher über acht auf nun gerade einmal vier Meter und dem Wegfall der Bäume, büßen wir Lebensqualität ein“, sind Frank und Maria Vitsious überzeugt. Die knochige Buche und ihre Kollegen sind nicht nur Sicht- und Lärmschutz. Sie sorgen auch für eine bessere Luft, denn parallel zur Reichsstraße liegt die Auffahrt zur Rheinkniebrücke mit entsprechend hohem Verkehrsaufkommen. Nicht nur die Vitsious werden zukünftig auf eine vier Meter entfernte Betonwand schauen, wenn der geplante Wohn- und Büroriegel gebaut wird. Im Eckhaus Wasserstraße leben auch Mieter, die über 80 Jahre dort eine Wohnung haben. „Für sie sind diese Veränderungen nur schwer zu verstehen und zu ertragen“, meint Maria Vitsious.

Die Anwohner wollen sich gegen die Baumfällung wehren, hoffen darauf, dass die Stadt dem Bauherrn entsprechende Auflagen macht, vielleicht nicht gleich alle acht Bäume zu fällen. „Paradoxerweise wurden die Stämme bei den Abrissarbeiten für das alte Kutscherhaus und die Mauer gut geschützt“, wundert sich Frank Vitsious. In seiner Stimme schwingt die leise Hoffnung mit, dass dies ein Zeichen dafür sein könnte, dass man vielleicht nicht leichtfertig mit der Kettensäge anrücken wird. „Aber ich fürchte, unser Wäldchen wird es nicht mehr lange geben.“

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