Diskriminierung Antisemitismus in Düsseldorf: „Es ist schlimmer als wir dachten“

Düsseldorf · Die neue Beratungsstelle der jüdischen Gemeinde zieht eine erste Bilanz — und die hat es in sich.

 Sie stehen Opfern von Antisemitismus zur Seite (v.l.): Olga Rosow (Leiterin Sozialabteilung Jüdische Gemeinde), Clemens Hötzel und Sophie Brüss (beide sind Antidiskriminierungsberater).

Sie stehen Opfern von Antisemitismus zur Seite (v.l.): Olga Rosow (Leiterin Sozialabteilung Jüdische Gemeinde), Clemens Hötzel und Sophie Brüss (beide sind Antidiskriminierungsberater).

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Sie war die erste ihrer Art in NRW. Vor anderthalb Jahren ging in Düsseldorf eine Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit an den Start, die den Schwerpunkt Antisemitismus setzte. Sie zählt zu den 13 auf Diskriminierung spezialisierten vom Land geförderten Integrationsagenturen und ist Teil der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Im Gespräch mit unserer Redaktion zog das Team in seinem Büro an der Bankstraße 57 erstmals Bilanz. Die Erfahrungen der vergangenen 18 Monate zeigen aus Sicht von Antidiskriminierungsberaterin Sophie Brüss: „Es sind mehr Fälle als wir erwartet haben.“ Im Vergleich zu den anderen Servicestellen NRWs liege man beim Meldeaufkommen unter den Top drei. Genaue Statistiken wolle man nicht veröffentlichen, da sie nicht repräsentativ seien, sagt Olga Rosow, Leiterin der Sozialabteilung. Für Brüss steht allerdings fest: „Der Antisemitismus tritt auch in Düsseldorf immer offener zutage.“

Vor allem an Schulen habe sich die Situation verschärft. Mit dem Start der Arbeit ging vor anderthalb Jahren wie berichtet einher, dass mehr und mehr jüdische Schüler von weiterführenden Schulen in Düsseldorf an der Religionsschule von antisemitischen Anfeindungen berichteten. Und auch in der Zeit danach habe sich das Umfeld Schule als Schwerpunkt der Arbeit herauskristallisiert. Vor allem für Präventionsarbeit  würden sich auch immer mehr Schulen öffnen. Hier bietet die Servicestelle Workshops für Klassen an, die an Führungen in der jüdischen Gemeinde teilnehmen.

Weniger offen zeigen sich laut Brüss allerdings viele Schulen, in denen es antisemitische Vorfälle gegeben habe. „Da wird viel kleingeredet und bagatellisiert. Viel zu oft zieht das Verhalten der Schüler keine Konsequenzen nach sich.“ Hier meint Brüss muslimische Jugendliche wie deutsche, auch aus gut situierten Familien. Die antisemitische Äußerung unterscheide sich da meist nur in ihrer Subtilität, die Grundeinstellung dahinter sei die gleiche.

Die Arten der Diskriminierung sind vielfältig. Besonders in Erinnerung ist Brüss ein Fall, bei dem das Gesicht eines Schülers in das Foto von einem Konzentrationslager montiert wurde, was dann in den sozialen Medien kursierte. Sehr verbreitet seien verbale Beleidigungen. Sie reichen laut Brüss von „schade, dass du damals vergessen wurdest“ bis zu „du Jude“. Die verbreitetste Form des Antisemitismus sei aktuell die israelbezogene. Als „Kindermörder Israel“ würden Schüler beschimpft, aber auch Lehrer würden Referate zum Nahostkonflikt schon mal jüdischen Schülern aufgeben, „da sie sich mit dem Thema am besten auskennen“ würden. Dabei seien das Düsseldorfer wie jeder andere. „Wir wollen niemanden an den Pranger stellen, aber wir wollen sensibilisieren.“

Antisemitismus ist für jüdische Familien alltäglich

Denn während dem Täter oft keine Konsequenzen drohten, würden jüdische Schüler oft die Schule wechseln. „Man muss verstehen, dass auch für diese Generation die Shoa sehr präsent ist und die Gefahr real, da sie von Vorfahren durchlebt wurde.“ Jedes Opfer gehe vor diesem Hintergrund anders mit Anfeindungen um, der eine ziehe sich in sich zurück, der andere wehre sich mit Gewalt. „So kam es schon zu Disziplinarverfahren gegen jüdische Schüler.“

In der Beratung von Antisemitismus-Opfern geht es den Experten zufolge erst einmal darum, genau zuzuhören. Viele seien lange allein mit ihrem Schicksal gewesen und kämen oft erst sehr spät zur Beratungsstelle, „wenn nichts mehr geht“. Im nächsten Schritt gehe es dann darum, die Handlungsoptionen von einer Anzeige bis zum Gespräch beim Direktor aufzuzeigen. Den Betroffenen soll in den Gesprächen die Handlungsfreiheit bewusst gemacht werden, damit sie sich nicht mehr nur als passives Opfer fühlen. Ein schwieriger Spagat sei es, deutlich zu machen, dass sie dennoch keine Schuld trifft. Auch der Austausch mit anderen helfe weiter, da man sehe, es handele sich nicht um ein individuelles Problem, sagt Clemens Hötzel, der erst vor zwei Wochen für Riccarda Blaeser als zweite Hälfte zum Team stieß, das aus zwei halben Stellen besteht.

Nicht sehr viel ist das vor dem Hintergrund, dass Antisemitismus laut Brüss auch in einer angeblich so weltoffenen Großstadt wie Düsseldorf alltäglich sei. „Ich kenne keine jüdische Familie, die nicht schon solche Erlebnisse hatte.“ Sie selbst sei bei einem nicht ganz korrekt abgestellten Auto vor der Schule ihrer Kinder schon von eigentlich ganz normal wirkenden Menschen angepöbelt worden. Wortlaut laut Brüss: „Ihr Juden könnt euch wohl alles erlauben!“

So weit wie der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, mit seiner Warnung vor öffentlichem Tragen einer Kippa will man zwar bei der Servicestelle nicht gehen. Dennoch müssen auch hier Juden mit Konsequenzen rechnen. Im vergangenen Sommer etwa wurde ein Jugendlicher in der Altstadt attackiert. Rosow schildert zudem den Fall von einer Gruppe jüdischer Gemeindemitglieder, die aus der Synagoge kam und von zwei Passanten den Hitlergruß gezeigt bekam, was am Ende nicht mal geahndet worden sei.

Brüss ist zum Schluss des Gesprächs noch ein Appell wichtig. „Jeder Fall von Antisemitismus sollte gemeldet werden.“ Auch auf der Internetseite der Servicestelle ist das möglich. „Je präziser das Bild ist, das wir uns von der Lage machen können, um so besser können wir helfen.“

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