Stadtgeschichte : Als die Grünstraße ein Zentrum des Nachtlebens war
Düsseldorf Café Green, Citrus, Fact, Ars Vivendi und La Rocca: Diese Lokale und Clubs machten die von der Königsallee abgehende Grünstraße in den 1990ern zur Ausgehzone – und das alte Wellenbad war „schuld“.
Es ist 2020, und du spazierst über die Grünstraße. Hast du schon länger nicht gemacht. Vor dem Design-Kaufhaus Stilwerk bleibst du stehen. Dein Blick fällt auf den verglasten Eingang, „Grünstraße 15“ steht dort, und welche Farbe die großen Buchstaben haben, muss man wohl nicht erwähnen. Deine Augen wandern nach links und bleiben an der Filiale einer so freundlichen wie biederen Kaffeehauskette hängen, die vermutlich selten bis gar nicht von Düsseldorfern besucht wird – und vermutlich häufiger von Düsseldorf-Besuchern aus Osnabrück oder Münster oder Viersen. In Gedanken reist du in der Zeit zurück, und dann ist es plötzlich Freitagabend und Sommer und 1993: Du stehst an derselben Stelle, vor dem Gebäude des Wellenbads. Die „In fünf Minuten beginnt der Wellenbetrieb“-Ansagen werden bald Geschichte sein. Der riesige Gebäudekomplex, in dem Generationen von Düsseldorfern schwimmen gelernt haben, ist angezählt. Doch du interessierst dich ohnehin eher für die Wellen des Nachtlebens: Als Abriss-Vorbote ist ein rund dreißig Meter langer und fünf Meter breiter Schlauch rechts vom Schwimmbadeingang extern vermietet worden. Café Green heißt das Lokal – und wird schon kurz nach der Eröffnung zum Szene-Treffpunkt. Eigentlich ist das Green nicht nur ein Café, sondern auch eine Bar: Elegant und minimalistisch. Zuvor war der Raum das Schaufenster für die Wellenbad-Werbung, jetzt ist er das Schaufenster der Düsseldorfer Ausgehleute. Schon bald gibt es einen Türsteher und Club-Karten, weil am Wochenende nicht jeder rein kann, der rein will. Es gibt eine lange Theke rechts vom Eingang. Es gibt Gäste von 20 bis 40 zwischen „schick“ und „Szene“. Es gibt mehr Sakkos als Jeansjacken. Es gibt schwarze Kleider und bunte Blusen. Es gibt Stehtische und Lederlehnen. Es gibt Zigaretten-Raucher und Wodka-Lemon-Trinker. Es gibt Käse-Schinken-Toast und DJs, die „One Night in Heaven“ von M People auflegen. Es gibt einen Stammgast Franjo Pooth. Es gibt Bar-Personal im Frack. Es gibt Warsteiner-Bier und Frozen Margarita. Auf dem Weg zur Toilette am Ende des Schlauches gibt es Gedränge und Wartezeit, und vielleicht lernt man dabei jemanden kennen.
Glamour trifft rheinische Lässigkeit: Im Sommer öffnen sich die Schiebefenster, die Gäste sitzen oder stehen im Rahmen, und an lauen Abenden lässt das Green die Grünstraße so mediterran leuchten wie Rimini oder Barcelona, aber vielleicht ist das auch übertrieben oder eine Projektion. In jedem Fall: Ein besonderer Ort – vielleicht auch deswegen, weil alle wissen, dass er nicht lange Bestand haben wird…
Das Café Green ist der „place to be“ – bis es ab März 1994 Konkurrenz bekommt und der Grünstraßen-„Pendelverkehr“ beginnt. Du pendelst mit: Mal beginnst du die Abende wie gehabt im Green, mal im Citrus – und zwischendurch spazierst du ein paar Meter über den Gehweg und wechselst den Laden. Das Citrus ist das zweite In-Lokal an der Grünstraße. Es gehört zu einem Gastro-Unternehmen mit Stammhaus in Mannheim, und im Laufe der 90er Jahre eröffnen weitere Filialen in Köln (Aachener Straße) und Hamburg (Neuer Wall). Insider sagen: Das Düsseldorfer Citrus ist das beste, zumindest das beliebteste. Es residiert an der gleichen Straßenseite wie das Green, nur wenige Schritte von der Königsallee entfernt. Ein großer rechteckiger Raum, hundert Quadratmeter brauner Holzfußboden, mit einem langen Tresen im Hintergrund und bunten Designer-Lampen an der Decke. Tagsüber ist das Citrus Restaurant und Café, abends Bar, mit fließenden Übergängen. Für die Besucher der Modemesse sowie der Schuhmesse CPD gehört das Citrus zum festen „Fahrplan“: Zu später Stunde werden die Tische zur Seite gestellt, italienische Designer flirten mit französischen Models oder anders herum, und schließlich feiern die Gäste nicht nur auf der improvisierten Tanzfläche, sondern auch auf den Theken. Eine kleine Tradition: Du kennst Leute, die sich schon Wochen vorher auf die CPD-Abende im Citrus freuen …
Klar, dass du dir auch das Fact anschaust, das kurz nach der Citrus-Eröffnung direkt gegenüber aufmacht: der erste Club an der Grünstraße. Oben: Loungebereich. Im Keller: Tanzfläche. Sound: Housig. Resident ist Chrissi D., der über die Medienhafen-Stationen „Room“ und „MK2“ in den Jahren darauf eine internationale DJ-Karriere hinlegen wird. Durch die Kombi Green-Citrus-Fact wird die Grünstraße endgültig zum Szene-Liebling und zur Nachtleben-Alternative. Devise: Erst „Warm-Up“ an der Grünstraße – und später weiterziehen, etwa in das nur 500 Meter entfernte Checkers im Kö-Center oder in den Club im Malkasten.
Die Geschichte des Citrus reicht bis 2004, doch seine besten Zeiten hat es von der Eröffnung bis zur Jahrtausendwende. Du trinkst hier gerne australisches Fosters-Bier aus der Flasche. Alternativ gibt es Duckstein und Holsten und eine riesige Cocktail-Auswahl (am beliebtesten: Caipirinha). Die Küche ist kalifornisch inspiriert: Stammgäste bestellen den Citrus Burger mit Guacamole oder den Tortilla-Bowl-Salad, und manche sagen, die Tomatensuppe sei die beste der Stadt. Auch Promis wie Jörg Immendorff, Michael Buffer oder Johnny Depp lassen sich im Citrus blicken. Ebenfalls Heidi Klum, die Anfang der 90er, noch vor ihrer Entdeckung als Model, kurze Zeit im Checkers hinter der Bar gearbeitet hat. Außerdem: diverse Bundesliga-Fußballer, etwa der schwedische Nationalspieler Martin Dahlin von Borussia Mönchengladbach – und im März 1999 sogar die gesamte Mannschaft des FC Bayern: Ein paar Stunden zuvor haben die Münchner in Gelsenkirchen Rot-Weiß Oberhausen im DFB-Pokal-Halbfinale geschlagen, und jetzt feiern sie im Citrus, und Oliver Kahn ist cool und Mario Basler lustig und Mehmet Scholl grinst.