Ein persönlicher Nachruf auf Leopold Wagner Abschied vom „Poldi“

Düsseldorf · Unser Autor war 25 Jahre lang regelmäßig Gast bei Leopold „Poldi“ Wagner, nun ist der Österreicher gestorben. Ein persönlicher Nachruf.

 So sah das Bild zum Geräusch aus, das bei Leopold Wagner zu hören war, wenn er eine seiner Spezialitäten vorbereitete: die Schnitzel.

So sah das Bild zum Geräusch aus, das bei Leopold Wagner zu hören war, wenn er eine seiner Spezialitäten vorbereitete: die Schnitzel.

Foto: Nicole Gehring

Leopold „Poldi“ Wagner hat mir den charmantesten Satz beigebracht, der im Deutschen möglich ist. Und das kam so: Wenn man früher in „Poldis“ Lokal an der Cheruskerstraße in Oberkassel aß, dann war man vor allem Selbstversorger. „Poldi“ hatte eine kleine Karte mit einigen Fleischgerichten auf den Stehtischen liegen. Von der bestellte man Hüftsteak oder Schnitzel beim Chef, dann ging man hinter die Theke, löffelte sich Kartoffel- und/oder Feldsalat auf den Teller, goss sich Wein oder Limonade ein. Wer häufiger dort war, wusste, dass es Palatschinken gibt, mit so viel Puderzucker und Mariellenschnaps, dass man dafür eigentlich die Maßeinheit „1 Wagner“ hätte erfinden müssen. Am Ende traf man den Chef wieder an der Kasse. Man zählte auf, was man gegessen und getrunken hatte, er drückte die dazugehörigen Zahlen in die Kasse. Als eine Freundin in ihrer Aufzählung beim Palatschinken ankam, tippte er nichts in die Kasse und sagte „Statt Blumen“.

Spätestens jetzt ist klar: „Poldi“ war Österreicher. Er verehrte den Kaiser, er dankte ausführlich, wenn Gäste ihm Devotionalien aus Wien mitbrachten, wer studiert hatte, wurde von ihm mit akademischem Titel angesprochen (nicht immer dem richtigen, aber auf keinen Fall einem zu geringen), er war ein rustikaler Genießer. Den gerade beschriebenen Charme präsentierte er im weißen Kittel, dem man ansah, dass der Mann gelernter Metzger war und das Fleisch in reichlich gutem Fett briet. Seine Weine waren zwar keine Spitzenreben, sondern einfache gute Veltliner und Zweigelt mit rot-weiß-rotem Band, aber auf Zetteln an den Wänden hingen die passenden Weisheiten: „Wer Wein trinkt, betet“ und „Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken“.

Leopold Wagners langes Leben begann 1930, Mitte der Sechziger kam er nach Düsseldorf. Er arbeitete in zwei Metzgereien, dann eröffnete er selber eine. An der Cheruskerstraße in Oberkassel erlebte er seine erfolgreichste, vermutlich auch seine schönste Zeit. Das Laden-Lokal war klein, voll oder sehr voll. Prominente hinterließen Dankesbotschaften, Düsseldorfer kauften für die Feiertage ihr Fleisch. Die Jahre danach änderten nichts an Charme (oder Aussehen), aber sie waren deutlich schwieriger. An der Wiesenstraße in Heerdt übernahm er eine ehemalige Kantine, die viel mehr, aber letztlich auch zu viel Platz bot. Und die traurige Lektion mit sich brachte, dass auch nur wenige Kilometer zwischen altem und neuem Lokal für Gäste einen großen Unterschied machen.

 In den Lokalen von „Poldi“ hingen wichtige Weisheiten: „Wer Wein trinkt, betet“.

In den Lokalen von „Poldi“ hingen wichtige Weisheiten: „Wer Wein trinkt, betet“.

Foto: Stephan Krudewig

„Poldi“ zog weiter und eröffnete am Ende der Pinienstraße in Flingern Süd eine neue Küche und einen neuen Gastraum. Dort, in einer Sackgasse hinterm Zakk, wurde er unfreiwillig zum Geheimtipp, denn nur die Fans, die ihm geblieben waren und die einander erzählten, dass es ein neues Poldi-Lokal gibt, fanden ihn dort. Als meine Frau und ich nach der Geburt unserer Tochter zum ersten Mal wieder alleine ausgingen, waren wir dort. Wir waren schließlich die letzten Gäste und wollten aus Rücksicht auf den Chef zahlen. Er aber stellte eine Flasche Wein auf den Tisch und sagte „Bleibts, solange ihr wollt“. Er schloss ab, setzte sich vor seinen kleinen Fernseher und guckte „Promiboxen“. Wenig später hörten wir ein leises Schnarchen.

An der Kaiserstraße 1 liegt die letzte berufliche Adresse von Herrn Wagner. Dort war noch einmal kurz nach der Bestellung eines Schnitzels zu hören, wie der Chef sie in der Küche platt klopft. Er selbst sprach von „Schnitzelchen“ – und servierte zwei panierte Meisterwerke, die rechts und links über den Teller lappten. Wer sie schaffte, sah Hochachtung in den Augen des Mannes, der seinen Stammplatz am Ende des Gastraumes hatte, wer sie nicht schaffte, durfte den Rest in Alufolie mitnehmen.

So legendär wie alle Geschichten bis dahin war auch die letzte. Leopold Wagner kündigte mit seinem Lokal 2018 aus Versehen auch die Wohnung im Geschoss darüber und musste deshalb im Auto übernachten. In der Altstadt fand er schließlich eine neue Wohnung. Nachbarn erzählen, dass er vor einiger Zeit ins Krankenhaus gebracht wurde, nun berichtet der „Express“, dass Leopold Wagner Ende Mai gestorben ist. Wie und wo er bestattet wurde, ist nicht bekannt. Keine Chance für Blumen, aber für einen Poldi-Satz: Habe die Ehre.

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