Düsseldorf 95-Jähriger sagt: „Ich bin als Kind Peter Kürten begegnet“

Hermann Mühlemeyer aus Hassels ist als Achtjähriger von Düsseldorfs berüchtigtem Serienmörder attackiert worden, sagt er. Und er entkam. Ein Experte hält das für wahr.

Düsseldorf: 95-Jähriger sagt: „Ich bin als Kind Peter Kürten begegnet“
Foto: JM

Düsseldorf. Hermann Mühlemeyer ist kein Mensch, den es ins Rampenlicht drängt. Der 95-Jährige lebt gemütlich in seinem Häuschen in einer verkehrsberuhigten Straße von Hassels. Aber er ist interessiert. Vor allem an Dingen, die eine Verbindung zu seinem langen Leben haben. Und so kam es, dass er Regisseur Gordian Maugg einfach anrufen muss, als er dessen Film „Fritz Lang“ über jenen Mann gesehen hatte, der einst den „Vampir von Düsseldorf“ auf die Leinwand gebracht hatte. Recht gut gelungen sei ihm sein Werk, sagt Mühlemeyer dem Regisseur. „Aber eines“, fügt er dann durchaus verschmitzt hinzu, „habe ich Ihnen doch voraus: Ich habe Peter Kürten noch leibhaftig gesehen!“

Hermann Mühlemeyer wurde im heutigen Süden von Düsseldorf geboren. „Hier war alles Feld, auf dem ich geritten bin“, erinnert sich der Mann. Seine Familie, so schildert er, war bettelarm. „Ohne den großen Garten wären wir verhungert.“ Doch seine Eltern sparten sich ein Fahrrad für ihren achtjährigen Jungen vom Munde ab. „Ich war sehr unsicher — es war ja zu groß gekauft, sollte mir lange halten“, berichtet Mühlemeyer. Also musste sich der kleine Hermann erst anschubsen lassen und schließlich sanft vor eine Hauswand rollen, um abzubremsen. Deshalb durfte er nur mit dem älteren Kumpel Werner in den Hasseler Forst fahren. An der heutigen Neuenkampstraße bogen sie an einem Sonntagmorgen im Sommer 1929 ein und radelten zwischen den Bäumen in Richtung Bahnschienen.

„Werner war wieder mal vorneweg. Da kam mir ein gut angezogener Mann mit einem neuen Fahrrad entgegen“, erzählt Mühlemeyer. „Ich hampele da mit meinem zu großen Rädchen über den Weg. Da bremst er, lässt sein Rad fallen und kommt auf mich zu.“ Auch er selbst sei erschrocken abgesprungen, habe das Fahrrad zwischen sich und den Fremden gehalten. Der, so erinnert sich der 95-Jährige, zog ein langes Messer. „Und dann sagte er in freundlichem Ton, mit einem Lächeln: ,Jetzt werd’ ich dir mal das Hälschen abschneiden’.“ Doch den Angriff habe Freund Werner aus der Entfernung beobachtet und gerufen: „Achtung, da kommt Bahnpolizei!“ Da sei der Mann auf sein Rad gesprungen „und raste stehend davon“.

Die Benrather Polizei habe am Nachmittag den Wald durchkämmt — aber natürlich niemanden gefunden. „Die Geschichte ist in meinem Kopf, als wäre sie gestern passiert“, beteuert Hermann Mühlemeyer nach 87 Jahren. Ebenso wie jener Tag, als er seinem Angreifer wieder ins Gesicht sah. „Bei der Oma in Eller — die kriegte die Düsseldorfer Nachrichten“, sagt Mühlemeyer. Und im Mai 1930 berichtete die Zeitung — die heute die Westdeutsche Zeitung ist — über Kürtens Festnahme. Mit Bild. Nach 16 Monaten war die Mordserie des Peter Kürten beendet — ein gutes Jahr später auch sein Leben: Er wurde am 2. Juli 1931 hingerichtet.

Hermann Mühlemeyer indessen musste in den Krieg ziehen, geriet in russische Kriegsgefangenschaft, kehrte heim zu Eltern, die immer noch arm, jetzt aber überdies krank waren. Er züchtete weiße Mäuse für Kliniklabore, verkaufte dann Zeitschriften, schließlich Damenröcke. Dabei blieb er und schuf ein Modeimperium. „Zuletzt habe ich 52 Millionen Mark Umsatz gemacht.“ Nebenbei kaufte er Trabrennpferde und gewann hochdotierte Derbys. „Ich habe es vom Bettler und Hausierer zum Millionär geschafft“, sagt der 95-Jährige. Und immer sammelte er Artikel über Peter Kürten. Erzählte aber niemals öffentlich seine unglaubliche Geschichte. Bis zu jenem Telefonat mit Regisseur Maugg.

Und der rief sogleich den Düsseldorfer Kürten-Biografen Hanno Parmentier an, der Berater für seinen Fritz-Lang-Film war. Er traf sich mit dem Kürten-Überlebenden und sagt: „Ich halte die Erzählung für authentisch.“ Die Zeit stimme, auch dass Kürten laut Mühlemeyer einen modischen „Pfeffer-und-Salz-Anzug“ trug, klingt nach dem Serienmörder. „Der freundliche Ton und die direkte Ansprache — auch das passt zu 100 Prozent“, so der Experte.

Einen objektiven Beweis für Mühlemeyers Geschichte zu finden, dürfte allerdings schwierig sein. Laut Klaus Dönecke aus dem Düsseldorfer Präsidium gibt es die damaligen Polizeiakten nicht mehr. Auch Sabine Eibl vom Landesarchiv in Duisburg, wo die Kürten-Prozessakten liegen, kann bei einer Stichprobe keinen Angriff des Serienmörders auf einen kleinen Jungen finden. „Das muss aber nicht heißen, dass die Angelegenheit nicht in den Akten erwähnt wird“, erklärt sie. Über 200 Bände, einer bis zu 200 Seiten dick, umfasst die Prozessschrift — teils in Sütterlin, viel handgeschrieben. Man muss, so sagen die Experten, dem 95-jährigen Düsseldorfer wohl einfach glauben, dass er als Kind dem berühmtesten und berüchtigtsten Verbrecher der Stadt begegnet ist. Und ihm von der Klinge sprang.

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