35 Jahre zwischen Freud und Leid

Mit 60 Jahren verlässt Martin Meyer-Pyritz die Feuerwehr. Er hat Babys entbunden, Lebensmüde gerettet – und Kämpfe verloren.

Düsseldorf. Zwei Stunden saß Martin Meyer-Pyritz mit dem Mann, der vom Dach springen wollte, in der Regenrinne. Zwei Stunden sprach er mit ihm über dessen Probleme. "Irgendwann kam die klassische Frage: Hast Du eine Zigarette?", erinnert sich Meyer-Pyritz.

"Aber ich bin ja leider Nichtraucher." Der lebensmüde Mann sprang nicht. Wochen später flatterte Meyer-Pyritz eine Dankeskarte ins Haus. Das war 1979. Am Dienstag wurde der Feuerwehrmann 60 Jahre alt und verabschiedete sich nach 35 Jahren aus dem Dienst.

Wenn Menschen in den Ruhestand gehen, ist in den Reden von Chefs und Kollegen meist die Rede von Verdiensten und herausragenden Erlebnissen. Auf der Feuerwache 7 erzählte am Dienstag Meyer-Pyritz’ ältester Feuerwehrfreund Stephan Boddem, wie sie sich gemeinsam die 24-Stunden-Schichten mit Versteckspielen auf der Wache vertrieben und sich versehentlich im Besenschrank einsperrten. Dass der Alltag von Martin Meyer-Pyritz angefüllt war mit dem höchsten Glück und dem tiefsten Leid, versteht sich von selbst.

Dennoch gibt es für den frischgebackenen Ex-Feuerwehrmann Erinnerungen, die ihn auch nach Jahrzehnten nicht loslassen. Etwa die an einen Mann, der von einem rund 35 Meter hohen Kirchturm springen wollte. "Ich bin mit meinen Kollegen ein Gerüst am Turm hochgeklettert", berichtet Meyer-Pyritz.

"Dann fing der Mann plötzlich an zu schießen - eine ziemlich haarige Angelegenheit." Während die Ehefrau den Lebensmüden über das Megafon zu beruhigen versuchte, zog der Feuerwehrmann seine Stiefel aus, schlich sich an und sprang dem Mann ins Kreuz. "Zum Glück waren meine Kollegen gleich hinter mir, sonst hätte ich ihn nicht gebändigt."

Viele Jahre ist Martin Meyer-Pyritz auch mit dem Notarzt unterwegs gewesen, hat dabei sogar einem Baby im Treppenhaus auf die Welt geholfen: Eine Frau hatte eine Sturzgeburt und musste noch auf dem Weg zum Rettungswagen entbinden.

"Wochen später habe ich durch Zufall diese Frau wieder gefahren - mit einem Zuckerkoma", berichtet Meyer-Pyritz. "Nach der Injektion schlug sie die Augen auf, sah mich an, lächelte und seufzte: ,Da ist ja der Notarzt, mit dem ich ein Kind bekommen habe!’" Die Rettungswagen-Crew schaute befremdet, der Feuerwehrman lachte.

Weniger gern denkt er zurück an eine Fahrt von Garath in die Uni-Klinik in den 80ern: Dort war ein kleiner Junge beim Spielen von einem umstürzenden Baum begraben worden. "Den ganzen Weg in die Klinik habe ich ihn beatmet - und ununterbrochen geheult", sagt Meyer-Pyritz. Das Kind starb.

Seelsorger gab es damals für die Feuerwehrleute nicht. Das Image der harten Männer wurde hochgehalten. Davon kann auch Stephan Boddem erzählen. 1980 wurde er zu einem Unfall gerufen, ein Mann war gegen einen Baum gefahren. Es war sein Schwager. "Ich musste ihn sterben sehen.

Damals hieß es, das müsse man eben aushalten", berichtet Boddem. "Heute undenkbar." Inzwischen dürfen auch Feuerwehrmänner Schwäche zeigen und Hilfe in Anspruch nehmen. Und doch ist Martin Meyer-Pyritz nach 35 Jahren stolz. Darauf, dass er in der Tat einiges ausgehalten hat.