Anhörung im NRW-Landtag Die perfide Masche der Loverboys

Düsseldorf · Experten sind sich bei Anhörung im NRW-Landtag einig: Es muss mehr Aufklärung an den Schulen geleistet werden.

 Liebe wird versprochen, Abhängigkeit wird geschaffen – die Loverboy-Methode.

Liebe wird versprochen, Abhängigkeit wird geschaffen – die Loverboy-Methode.

Foto: dpa/Alexander Körner

Expertenanhörungen des Landtags dienen dazu, dass die Landtagsabgeordneten externes Fachwissen anzapfen, um dieses dann in einen anstehenden Gesetzgebungsprozess einfließen zu lassen. Meist sind die Experten solche Personen, die sich beruflich besonders mit dem anstehenden Thema befassen. In der Anhörung des Gleichstellungsausschusses am Freitag zum Thema Loverboys ist es bei einer „Expertin“ ganz anders. Sandra Norak kennt das Thema, über das sie da befragt wird, aus eigener und besonders leidvoller Erfahrung:

Die heute 29-jährige Frau ist durch ein Martyrium gegangen. Sechs Jahre lang, von 2008 bis 2014, musste sie sich in verschiedenen Bordellen prostituieren. In diese Sackgasse war sie geraten, weil ihr – sie war damals Schülerin – ein Mann Liebe vorgetäuscht hatte, sie emotional abhängig machte und sie sich schließlich seinem Willen unterwarf. Selbst als sie nach einem anonymen Hinweis von der Polizei abgeholt und vernommen wurde, sagte sie, unter psychischem Druck stehend, alles sei in Ordnung. Ihr Peiniger konnte damals nicht überführt werden.

In Noraks Fall war der Mann, der sie abhängig gemacht hatte, 20 Jahre älter als sie. Aber die Methode, so betont sie, war die gleiche wie bei den Loverboys: Mädchen und junge Frauen werden von heranwachsenden jungen Männern, den Loverboys, in Abhängigkeit gebracht. Die verhängnisvollen Kontakte werden im Internet oder auch vor der Schule geknüpft. Unter Vorspiegelung einer Liebesbeziehung wird die junge Frau in ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis gebracht. Und dazu, dass sie den Kontakt zu ihrem familiären Umfeld und zu Freunden abbricht. So in die Isolation versetzt, bringt der Loverboy sein Opfer dazu, aus Liebe zu ihm, der doch angeblich so hohe Schulden habe, seinen Körper zu verkaufen. Die Gewaltspirale dreht sich.

Auf das Alter des Täters komme es dabei gar nicht an, „die können auch älter sein, wie in meinem Fall“, sagt Norak den Landtagspolitikern. Sie selbst hatte sich mit viel Energie nach Jahren aus den Fesseln befreit, studierte Jura und machte es sich fortan zur Aufgabe, durch öffentliche Aufklärung gegenzusteuern. Durch Vorträge an Schulen, durch ihren Blog „My Life in Prostitution“ und eben auch durch eine Mitwirkung in politischen Verfahren wie am Freitag im Landtag.

„Loverboys sind Menschenhändler“, warnt Norak potentielle Opfer, die jungen Frauen. „Sie sind keine Freunde, sie sind keine Lebensgefährten, sondern sie sind Täter einer der schlimmsten Straftaten, die einem jungen Menschen passieren können.“ Doch auch die Männer, die in den Bordellen die Dienste der Frauen kaufen, brandmarkt sie nach den am eigenen Leib gemachten Erfahrungen: „Die Frauen werden behandelt wie lebende Gummipuppen, ohne Subjektqualität, sie werden durch die Sexkäufer kaputt gemacht.“ Jeder Freier solle sich doch mal die Frage stellen, ob er selbst seine Tochter oder Schwester in der Prostitution sehen wolle.

Sollte Prostitution generell für illegal erklärt werden?

Die Prostitution müsse generell für illegal erklärt werden, fordert Norak denn auch konsequent. Denn wenn die Prostitution von der Gesellschaft als ganz normale Dienstleistung, als ganz normale Arbeit angesehen werde, könnten junge Mädchen, emotional beeinflusst von ihrem Loverboy, doch gar nicht erkennen, warum sie sich einer solchen „normalen“ Arbeit, einem „Job wie jeder andere“ verweigern sollten.

Wolfgang Hermanns vom Landeskriminalamt hält nichts von einem Verbot der Prostitution. Nur wenn die Frauen in der Legalität seien, bestehe die Möglichkeit, sie anzusprechen, ihnen Hilfe anzubieten, sagt er den Landtagspolitikern. Bei einem Verbot und einem Abdriften in die Illegalität verschwinde Prostitution ja nicht. Vielmehr würden im Untergrund die Methoden zulasten der Frauen nur noch verschlimmert.

Seit 2016 wird die Loverboy-Methode im polizeilichen Lagebild erfasst. 2016 wurden danach in Nordrhein-Westfalen zwei Fälle bekannt. 2017 waren es erneut zwei und 2018 dann drei Fälle. Doch Hermanns glaubt, dass es eine große Dunkelziffer gibt, weil sich die Taten in einem Milieu abspielen, in dem alles daran gesetzt werde, die Taten zu verschleiern und das Opfer von seiner Umwelt abzukapseln. „Es kann jede junge Frau treffen“, warnt Hermanns. Gerade bei Minderjährigen in einer Phase, in der Liebe und Emotionalität hohe Bedeutung haben und es gleichzeitig für Eltern schwierig ist, ihre Kinder zu erreichen, müsse alles getan werden, um es gar nicht erst zu einer solchen Situation kommen zu lassen.

Ratschlag an Eltern, die einen Verdacht haben

Das sagt auch Dirk (nur sein Vorname steht auf dem Namensschild im Landtagsausschuss), dessen Tochter vor zehn Jahren in die Fänge eines Loverboys geriet. Wie die Sache ausging, schildert er zwar nicht vor den Politikern, wohl aber seinen seither andauernden Kampf, das Problem anzugehen. Dirk ist in der Düsseldorfer Elterninitiative für Loverboy-Opfer engagiert und verweist energisch auf ein fertiges Konzept mit dem Titel „Liebe ohne Zwang“ (Internet: liebeohnezwang.de) mit dem insbesondere an Schulen das Thema durchgearbeitet werden könne.

Solch ein präventives Warnen, das freilich auch den Einsatz von Geldmitteln erfordert, verlangen alle Experten in der Landtagsanhörung von den Politikern. Diese sind nun vor die Aufgabe gestellt, das Thema konkret anzupacken. Und für Aufklärung zu sorgen, bevor es zu den Taten kommt.

Doch was sollen Eltern tun beim Verdacht, dass die eigene Tochter bereits in die Fänge eines Loverboys geraten ist? „Versuchen, dran zu bleiben, versuchen, mehr herauszufinden“, rät Norak. Und wenn man dann glaubt, dass etwas hinter dem Verdacht steht, zur Polizei gehen. Auch ohne die Tochter zu informieren. Das sei zwar gegenüber dieser erstmal ein Vertrauensbruch. Doch bei Anhaltspunkten sei dies der richtige Weg. Denn wenn das Kind erst in den Brunnen gefallen ist, sei es zu spät.

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