Noch kein Platz für Albert Richartz

Die Büste des Burscheider Fabrikanten wurde gesichert. Aber ein öffentlicher Ort, an dem sie auch zu sehen ist, fehlt bisher.

Noch kein Platz für Albert Richartz
Foto: Doro Siewert

Burscheid. Im April 2015 erschien im BV ein Aufruf: Gesucht wurde ein neuer Besitzer für die Bronzebüste des Burscheider Fabrikanten Albert Richartz (1854—1935). Der Duisburger Besitzer war über einen BV-Artikel im Internet auf die Burscheiderin Eva Lüdorf gestoßen und hatte ihr die Büste angeboten. Seither bemühte Lüdorf sich in der Stadt um einen Käufer für das Porträt, „denn hier gehört es hin“.

Noch kein Platz für Albert Richartz
Foto: Privatarchiv Kunst

Silke Riemscheid erfuhr davon im Kulturausschuss. Die Stadt hatte einen Ankauf des Kunstwerks mit Hinweis auf die Haushaltslage abgelehnt, „also habe ich meinen Mann angesprochen.“ Axel Riemscheid war einverstanden; seither steht die Büste im Hause Riemscheid.

Aber dort soll sie möglichst nicht bleiben. Silke Riemscheid und die Burscheider Geschichtsvereins-Vorsitzende Anne Marie Frese setzen sich für eine öffentliche Ausstellung ein. Aber der Vorschlag Haus der Kunst wurde abgelehnt. Auch die Idee, die Büste einmal vor einer Ratssitzung zu präsentieren, sei auf kein Interesse gestoßen, so Riemscheid. „Die meisten Ratsmitglieder wissen gar nicht mehr, wer die Familie Richartz war“, glaubt Frese.

Dabei ist mit dem Namen ein spannendes Stück Burscheider Industriegeschichte verbunden, dessen Spuren heute noch in die Schweiz, nach Wien und Siegen führen. Alles beginnt mit der Siamosenweberei von Heinrich Bertrams senior. Sein gleichnamiger Sohn führt die kleine Weberei in Kaltenherberg weiter. Ein klassischer Produktionszweig in Burscheid — bis Bertrams Schwager Karl Höller 1865 in die USA aufbricht und dort das geknickte Ofenrohr erfindet.

In Übersee zündet die Idee nicht; Höller kehrt in die Heimat zurück und gründet mit seinem Schwager in Burscheid eine Ofenrohrfirma. Das Produkt boomt, es gibt Niederlassungen in Paris, Berlin, Brüssel, Wien, Siegen, Basel, Mailand und Breslau. „Im Ersten Weltkrieg gingen dann Mailand, Paris und Brüssel verloren, im Zweiten Weltkrieg wurde Basel beschlagnahmt“, erzählt Frese. Aber in Wien ist die heutige Bertrams GmbH & Co KG als einer der führenden Abgas- und Ofenrohr-Spezialisten Europas weiter ansässig. Ein Geschäftszweig der Bertrams AG in Siegen ist bis heute die Abgastechnik. Und im schweizerischen Muttenz hat sich aus der Firma die weltweit aktive Bertrams Chemieanlagen AG entwickelt.

Heinrich Bertrams junior aber, der 1893 auch Burscheids 3. Beigeordneter wird und in der von seinem Vater gebauten Villa lebt, die heute das Haus der Begegnung im Luchtenberg-Richartz-Park ist, muss einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen: Sieben seiner acht Kinder sterben an Diphtherie. Nur Tochter Auguste bleibt übrig — und heiratet jenen Albert Richartz, den die Büste im Hause Riemscheid zeigt.

Richartz übernimmt 1910 die Firma Bertrams als Nachfolger seines Schwiegervaters und macht in der Folgezeit immer wieder durch sein soziales Engagement auf sich aufmerksam. In Siegen entsteht eine Siedlung für 36 Arbeiter (Frese: „Dort ist auch eine Straße nach ihm benannt, in Burscheid nicht“). Im Ersten Weltkrieg lässt er für alle Burscheider Kriegsteilnehmer Päckchen packen und verschicken. Aus verschenkten Grundstücken, die der Firma Bertrams gehörten, entsteht ab 1931 die Burscheider Löhsiedlung.

Richartz hat zwei Kinder: Else und Erich. Die Tochter heiratet Paul Luchtenberg, was die Villa Richartz eines Tages zur Luchtenberg-Villa macht. Der Sohn heiratet nie, bleibt wie seine Schwester kinderlos und lebt bis zu seinem Tod in dem Haus Höhestraße 3, das sich mit der Villa den von Albert Richartz angelegten parkähnlichen Garten teilt.

Die Namen Luchtenberg, Richartz und Bertrams sind aber bis heute in der Stadt ein Synonym für Wohltätigkeit. Sowohl Erich Richartz als auch das Ehepaar Luchtenberg vermachen ihre Häuser testamentarisch der Stadt. Aus einem Großteil des Nachlasses von Erich Richartz entsteht eine Stiftung, die bis heute jährlich die evangelische und katholische Gemeinde unterstützt. „Diese Familien haben ganz, ganz viel Gutes getan“, sagt Frese.

Die Bedeutung der Büste ist aber nicht allein in der Person des Dargestellten begründet, sondern auch in der Person des Künstlers. Der gebürtige Remscheider Ernst Kunst (1896—1959) wurde insbesondere durch Paul Luchtenberg gefördert, lebte ab 1956 bis zu seinem Tod auch in Burscheid und liegt auf dem Burscheider Friedhof begraben. Seinen Grabstein ziert nur seine Signatur. Von ihm stammen auch die Pastor-Löh-Büste am alten Pastorat und das Montanus-Relief an der Parkmauer in der Montanusstraße.

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