Milchwirtschaft im Umbruch

Die niedrigen Preise stellen die Bauern vor Existenzfragen. Dabei haben sie noch die Folgen der letzten Krise zu tragen.

Burscheid. Es gab Zeiten, da haben in Burscheid noch ein gutes Dutzend Bauernhöfe von der Milchwirtschaft gelebt. Heute ist das die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe insgesamt — inklusive der Obstbauern und der Pferdebetriebe. Die Milchbauern machen nur noch eine Handvoll aus. Und auch diesem Rest geht es an die Existenz.

Ortstermin Sieferhof. Frank Paas, Vorsitzender der Ortsbauernschaft, hat 60 Milchkühe zu versorgen. Das macht er allein mit seiner Frau Julia, Angestellte können sie sich nicht leisten. 2008/2009, bei der letzten Milchpreiskrise, haben sie einen Überbrückungskredit aufgenommen, um den Betrieb zu retten. „Und mit dem Abzahlen sind wir noch nicht ganz fertig.“

Aber nach einigen guten Jahren und einer regelrechten „Goldgräberstimmung“ im Frühjahr 2014 sei die Preisentwicklung seit Anfang vergangenen Jahres wieder ruinös: „So kann man nicht wirtschaften.“ Paas erhält von seiner Molkerei derzeit einen Basispreis von 27,5 Cent pro Liter Milch; mit Aufschlägen und der Mehrwertsteuer kommt er auf gut 32 Cent. In diesem Monat wird der Preis noch weiter sinken. Dabei hat der Landwirt Kosten von 35 Cent pro Liter. „Und da habe ich noch nichts investiert.“

Bis ins vergangene Jahr hat sich der 50-Jährige keine Sorgen gemacht, dass der in dritter Generation von seiner Familie betriebene Hof sie beide noch bis zur Rente bringt. Heute ist er zurückhaltender geworden mit seiner Einschätzung: „Ich bin überzeugt, dass sich die Märkte wieder drehen werden. Aber die Frage ist, wann und wer dann noch übrig ist.“

Sein Kollege, Ortslandwirt Detlef Dahlhaus in Hürringhausen, sagt es mit ähnlichen Worten: „Dieses Jahr wird es sich entscheiden.“ Die Rücklagen aus der guten Phase hätten sie noch durch das Tief in 2015 getragen. „Aber das Geld ist irgendwann aufgezehrt. Und derzeit gehen die Prognosen noch davon aus, dass in diesem Jahr keine Entlastung zu erwarten ist.“ Ein Überbrückungskredit kommt für Dahlhaus nicht infrage, eher schon ein Zurückfahren der Milchwirtschaft mit seinen aktuell 70 Kühen. „Vielleicht gehen wir dann auf die Fleischproduktion. Wir überlegen derzeit viel, aber leben auch immer noch nach dem Prinzip Hoffnung.“

Die Ursachen für den Preisverfall sind vielfältig. Ein oft genannter Faktor: der russische Einfuhrstopp für EU-Agrarprodukte als Gegenmaßnahme zum Wirtschaftsembargo im Zuge der Ukrainekrise. Auch das China-Geschäft ist vorerst eingebrochen, weil die Lager dort überfüllt waren und der Markt die ganzen Milchprodukte nicht mehr aufnehmen konnte. In diese Phase fiel dann Ende März 2015 das schon lange vorher auf EU-Ebene beschlossene endgültige Ende der Milchquote.

Zu ihr will Paas wie die Mehrheit der Milchbauern auch nicht zurück. Er setzt weiter auf den freien Markt. „Der Wunsch, damit abgesicherte Milchpreise zu erreichen, ist nie richtig aufgegangen.“ Dahlhaus sieht das anders: Er und sein Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) fordern weiter eine „marktangepasste Regulierung“. Das größte Problem sei die Abschaffung aller Quotenregelungen gewesen: „Jetzt fallen uns die Milchmengen vor die Füße.“

Für die Zukunft der kleinen Höfe und der Milchwirtschaft in der Region sieht Frank Paas jenseits der Berg- und Talfahrt der Märkte aber noch eine ganz andere Gefahr: die fehlenden Nachfolger. Viel Arbeit, kaum Freiraum für Urlaub, dabei geringer Ertrag — man muss wie Paas schon sehr mit dem Landwirtschaftsvirus infiziert sein, um darin trotzdem die Freiheit zu sehen und sich am Wachsen und Gedeihen von Tier und Pflanzen im Jahreslauf zu freuen. Seine eigenen Kinder haben andere Wege eingeschlagen. „Der Strukturwandel“, sagt Paas nüchtern, „wird kaum aufzuhalten sein.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort