Kirchen in NRW Liebfrauenkirche in Burscheid: Symbol für die Blütezeit der Eigenständigkeit

„Neue Steine des Glaubens“, die Sommer-Serie der Westdeutschen Zeitung, lädt zur Wiederentdeckung moderner Kirchen-, Synagogen- und Moscheenbauten ein. An der von Dominikus Böhm entworfenen Liebfrauenkirche in Burscheid-Hilgen lässt sich das Wachstum kirchlichen Gemeindelebens ablesen — und sein Verblassen.

Kirchen in NRW: Liebfrauenkirche in Burscheid: Symbol für die Blütezeit der Eigenständigkeit
Foto: Doro Siewert

Burscheid. Wie heilig ist eigentlich ein Kirchenbau? Das ist an dieser Stelle keine theologische Frage, sondern eine der Werktreue. In der bildenden Kunst ist es gesellschaftlicher Konsens, dass der Betrachter nicht noch einmal zu Pinsel, Hammer und Meißel greift, wenn er meint, es bedürfe im Kunstwerk einer neuen Akzentsetzung. In der Architektur sieht das mitunter anders aus.

Die katholische Liebfrauen-kirche im Burscheider Ortsteil Hilgen, etwas versteckt hinter dem gerade zum Busverknüpfungspunkt ausgebauten Raiffeisenplatz gelegen, ist erst 63 Jahre alt. Am 27. Juni 1954 wurde sie geweiht — in Anwesenheit ihres Architekten, des großen Kölner Baumeisters Dominikus Böhm. Ein Jahr später starb er noch vor Vollendung seines 75. Lebensjahres. Die Liebfrauenkirche ist eine seiner letzten Arbeiten. An der Fertigstellung war, wie einige Pläne belegen, auch sein später nicht minder berühmter Sohn Gottfried beteiligt.

Liebfrauenkirche in Burscheid: Symbol für die Blütezeit der Eigenständigkeit
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Diese architekturhistorische Würde und Bürde hat den schlichten Saalbau nicht davor bewahrt, im Laufe der Jahrzehnte zahlreichen Veränderungen unterworfen zu sein. Und so lässt sich an der Nutzungsgeschichte des Gebäudes auch so etwas ablesen wie die Geschichte des Aufblühens und Verblassens kirchlichen Gemeindelebens.

Die Basis legen ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Flüchtlinge aus dem Osten. Durch sie wächst die Zahl der Katholiken an. Noch während des Krieges beginnen in dem Ortsteil stationierte Priestersoldaten, in Privathäusern Gottesdienste zu feiern. Eine eigene Gemeinde für Hilgen wird Heiligabend 1945 auf den Weg gebracht. Deren Anfänge sind geprägt von nachkriegstypischen Provisorien: Erst gibt es eine Notkapelle in einer örtlichen Kerzenfabrik, später eine Notkirche im Saal einer Gastwirtschaft. Dort dringen bei Abendmessen die Geräusche der im Keller untergebrachten Kegelbahn durch den Boden.

Viel Geld ist in der wachsenden Gemeinde nicht vorhanden, dafür aber Tatkraft. 1952 wird Dominikus Böhm dafür gewonnen, den Hilgenern mit denkbar bescheidenen Mitteln einen Kirchenbau zu errichten. Die Ausschachtungsarbeiten nehmen die Gemeindemitglieder in die eigenen Hände. Im Juni 1953 wird nicht nur der Grundstein gelegt. Es ist auch das Jahr der Ablösung von der Mutterpfarrei in Burscheid. Es wird eine kurze Selbstständigkeit von gerade einmal 42 Jahren werden.

Doch an düstere Zukunftsprognosen verschwendet in der Aufbau- und Aufbruchstimmung der 50er- und 60er-Jahre niemand seine Zeit. Die Familien wachsen — und mit ihnen die gemeindlichen Bedürfnisse. Neben der Böhm-Kirche ersteigert die Gemeinde eine Bauruine und baut sie zu einem Wohnhaus mit integriertem kirchlichen Kindergarten aus.

Der Boom bleibt auch an dem Kirchenbau nicht ohne Spuren. Erstes Vorzeichen: Der separat stehende Glockenturm, wie die Kirche selbst aus Ziegeln der erst 1975 stillgelegten Hilgener Ziegelei erbaut, muss 1972 einer Straßenverbreiterung weichen.

„Daraufhin gab es eine Pfarrversammlung, ob wir einen neuen Kirchturm brauchen oder nicht“, erzählt Werner Bornefeld (76), über Jahrzehnte einer der Aktivposten und auch Kirchenvorstand der Gemeinde. „Aber weil die drei Glocken gestiftet waren und das Läuten nun mal zur Messe ruft, fiel die Entscheidung für einen neuen Turm.“ Der steht jetzt näher an der Kirche — und ist aus Beton.

Doch das ist nur der Anfang. Eine seitlich angefügte Taufkapelle erschwert den Zugang zum Kindergarten; sie wird 1976 abgerissen. Erst seither reicht die für Böhm typische seitliche Fensterwand des Altarraums wirklich von der Rabitzkonstruktion der Decke, einem Draht-Gips-Geflecht, bis zum Boden. Und auch die neuen Jugendgruppen und der Chor sind in Raumnot. Also entschließt sich die Gemeinde zu einem weiteren gravierenden Eingriff. Die Öffnungen der Empore über dem südlichen Seitenschiff werden zugemauert. Dahinter entstehen neue Gemeinderäume, sogar ein kleines Kino. Heute ist dort die katholische öffentliche Bücherei untergebracht.

Durch die Schließung der seitlichen Empore hat auch das dort bisher untergebrachte Harmonium keine Verbindung mehr zum Kirchenraum. Stattdessen wird an der Westseite eine neue Empore für die angeschaffte Orgel eingebaut. Sie erlebt ihre Premiere an Heiligabend 1976. „Aus architektonischer Sicht war der Umbau ein Sakrileg“, räumt Bornefeld ein. „Aber aus seelsorgerischer Sicht schien er das Beste zu sein.“ Das Gemeindeleben brauchte Platz zur Entfaltung. Jetzt hatte es ihn.

Gut 20 Jahre nach ihrer Einweihung steht die Liebfrauenkirche auf diese Weise schon gewaltig umgekrempelt da, einschließlich eines hellen Kalksteinbodens, dem der alte Ziegelsteinboden weichen musste. Die Eingriffe in die Architektur sind stumme Zeugen einer Wachstumsdynamik, die zum Zeitpunkt der Grundsteinlegung noch nicht abzusehen war.

Und doch zeichnet sich am Horizont schon die nächste Zeitenwende ab. Ab 1983 gibt es zunächst eine gemeinsame seelsorgerische Betreuung mit Burscheid, zwölf Jahre später erfolgt dann die schmerzliche Auflösung der Katholischen Gemeinde Liebfrauen und ihre Verschmelzung mit der benachbarten Burscheider Gemeinde.

Wer heute nach original Böhm sucht, wird trotz der Umbrüche fündig. Die lichte Raumwirkung ist seit einer zweiten Sanierung 2004 wieder den Absichten des Architekten näher. Verschwunden sind seither nicht nur die Gebäuderisse in der Folge des Erdbebens 1992, sondern auch manch eigenwillige Farbabsetzung der Zwischenzeit. Auch die Arbeiten des mit Böhm verbundenen Kölner Künstlers Johannes Rheindorf sind geblieben: der Kreuzweg, die Pietà und der Tabernakel im Seitenschiff sowie das Kreuz im Eingang.

Dort, im Eingangsbereich, findet sich seit diesem Jahr auch eine eingelassene Bodenfliese der knapp einen Kilometer entfernten evangelischen Kirche in Hilgen — Geschenk zur 60-jährigen Kirchweihe 2014. Dem war 2008 zum 50-jährigen Bestehen der evangelischen Kirche ein Fliesengeschenk von katholischer Seite vorausgegangen, das seit der dortigen Bodensanierung ebenfalls im Eingang verlegt ist.

Oft kann man dieses ökumenische Zeichen in der Liebfrauenkirche aber nicht mehr sehen. Durch eine weitere Personalreduzierung in der Pfarreiengemeinschaft mit Odenthal und Altenberg musste sich Liebfrauen gerade von der Sonntagsmesse verabschieden. Die Zukunft der Donnerstagsmesse ist noch offen. Verlässlich ist die Kirche, die zu ihren Hochzeiten in den 70er Jahren beinahe täglich genutzt wurde, künftig nur noch zur Vorabendmesse am Samstag um 18.30 Uhr geöffnet. Vor Priestermangel und rückläufigen Besucherzahlen schützt auch eine Böhm-Kirche nicht.

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