Konzert in Köln Die Flashbackstreet Boys

Köln · Minimalismus vor ausverkauftem Haus: Die erfolgreichste Boygroup aller Zeiten kommt in die Kölner Arena ohne Instrumente, ohne Backgroundtänzer - aber mit jeder Menge Erinnerungen an die 90er.

 Nick Carter, Sänger der Boygroup Backstreet Boys, singt zum Auftakt der Deutschland-Tournee auf der Bühne in Hannover (Archivbild).

Nick Carter, Sänger der Boygroup Backstreet Boys, singt zum Auftakt der Deutschland-Tournee auf der Bühne in Hannover (Archivbild).

Foto: dpa/Christophe Gateau

Diskonebel wabert über den Boden, auf der Riesenleinwand fließt ein Wasserfall vor einer halben Mondfinsternis einen bewaldeten Berg hinab ins Meer. Und die Backstreet Boys singen. Viel näher kann man den 90ern nicht mehr kommen. In der Kölnarena zeigt die erfolgreichste Boygroup aller Zeiten am Donnerstagabend, dass sie mit dem Erfolgsrezept auch 26 Jahre nach ihrem Start noch große Hallen füllen und erfüllen können: fragwürdige Choreografien, schräge Kostüme, beliebiger Pop - und ganz viel Liebe.

Für alle, die die Karriere der Backstreet Boys nicht durchgehend verfolgt haben: Das ist keine Comeback-Tour, sie waren nie weg. Obwohl Nick Carter sich auf der Bühne erinnert, dass er gerade zwölf war, als er die anderen Bandmitglieder kennen lernte. Das Küken der Truppe kratzt heute immerhin auch an der 40, Kevin mit 47 Jahren fast an der großen Fünf. Wer sich auf dem Weg zur Halle gewahr wurde, wie sehr der Zahn der Zeit seit dem letzten Backstreet-Boys-Konzert an ihm genagt hat, wurde beruhigt: Auch an den Künstlern hat er sich gütlich getan.

Die Backstreet Boys sind mehr als ihre einfach gestrickte Musik. Sie sind die Erinnerung an eine Zeit, als die Pferdeposter aus- und der Bravo-Starschnitt einzog. Als man nicht so recht lächeln wollte aus Sorge, das halbe Frühstück könnte noch im Draht der Zahnspange hängen. Die coolen Mädchen standen auf Nick oder Brian, wer AJ mochte, war schon fast ein Punk, wer Kevin präferierte, schräg - und an den fünften Backstreet Boy, Howard, hat man sich seltsamerweise nur mit Mühe erinnert. Die Jungs aus der Klasse frisierten sich eine Mittelscheitelgardine wie Nick Carter, um sich dann zu wundern, dass sie nicht die gleichen Begeisterungsstürme auslöste wie bei dem blutjungen Sänger.

Der hat inzwischen fairerweise tiefe Furchen im Gesicht und schwitzt nach zwei Liedern aus allen Poren - die Choreografien wurden im akrobatischen Anspruch zwar deutlich reduziert, die Textilien an den nicht mehr taufrischen Körpern dafür maximiert. Aber der Saal fiept und kreischt und quiekt, dass es in den Ohren klingelt. Die Schnittmenge zwischen den Zuschauern, die in den 90ern auf BSB-Konzerten waren, und denen in der Kölner Arena an diesem Abend dürfte enorm sein. Auf die Frage: “Wer ist ein Fan seit 26 Jahren?” brüllt die Meute - auf die Frage: “Wer hat das neue DNA-Album?” gibt’s Appläuschen.

Natürlich möchte die Band zeigen, dass sie mehr ist als ein Flashback in gute alte Zeiten. Das Publikum gönnt ihr höflich, ein paar neue Songs einzustreuen. Aber prinzipiell ist man nicht gekommen für Neues. Man will zu “Shape of my Heart” im neonfarbenen Knicklichter-Meer baden. Und man darf.

Die Backstreet Boys gehen willig mit auf Zeitreise. Sechs Kostüme von schwarzen Fallschirmjägeranzügen bis zu strassbesetzten Baseballjacken. Erfrischend: Man versucht gar nicht erst, Instrumente auf die Bühne zu bringen und musikalischen Anspruch zu heucheln. Aber auch Background-Tänzer gibt es nicht. Auf der Bühne hat niemand etwas zu suchen als diese fünf Jungs. Entschuldigung, Herren. Und tatsächlich: Seine Stimmen und Körper hat dieses Quintett über ein Vierteljahrhundert so in Schuss gehalten, dass diese zwei volle Stunden Show füllen. Unterbrochen nur von kurzen Episoden, bei denen einzelne Bandmitglieder mit dem Publikum plaudern, sich höflich bedanken, weil der ganze Hype um sie in Deutschland begann, ein bisschen Deutsch zum Besten geben (Nick: “Ich liebe dich”, AJ: “Ich möchte dich küssen”, Kevin: “Es ist schön, dich wiederzusehen”) und bekunden, wie toll Deutschland ist und wie gern sie hier “Snitzel” essen. Geschenkt. Liebe erfüllt den Saal und gleich darauf mit “Everybody” und “We’ve got it going on” zwei der größten BSB-Hits. Unterhaltung können sie - damals wie heute.

Gegen Ende der Show beschleicht einen Verwunderung, dass man jeden Song mitsingen kann, selbst wenn man eigentlich nicht dachte, ein Hardcore-Groupie zu sein. Und weil manchmal jetzt Zweifel kommen, ob dieser eine Song zum zweiten Mal läuft oder sie sich alle im Kern doch sehr ähneln. Einerlei. “Larger than life” und ganz in Weiß spielen die Backstreet Boys zum Finale auf. Konfettiregen, Luftschlangenkanone, Pyro-Fontänen - so sagt man “Gute Nacht” auf 90er! Kollektive Seligkeit. Zum letzten Mal versinken die fünf Sänger auf ihrer Trickbühne im Boden und das Licht geht an. Es ist unmissverständlich: Für Künstler und Fans im mittleren Alter ist jetzt Zeit fürs Bett. Zum Glück sorgt die Bahn dafür, dass der 90er-Jahre-Flashback noch nicht enden muss: 50 Minuten warten auf den nächsten Zug. Manches ändert sich nie. Aber wären das wirklich noch die 90er, würde man jetzt einfach Papa anrufen...

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