Wirtschaft Kein Stillstand in den Betriebsferien

Köln · (step) Die Bänder im Kölner Ford-Werk stehen noch bis zum 1. August still – es ist Werkurlaub. Doch Stillstand herrscht in den Werkhallen deshalb nicht: „Wir nutzen die Betriebsferien, um den Umbau zum Electrification Center auf Hochtouren voranzutreiben“, erklärt Planungschef Darko Drazic.

 Bei der Lackierung der Fahrzeugkarossen setzt Ford in Niehl moderne Roboter ein.

Bei der Lackierung der Fahrzeugkarossen setzt Ford in Niehl moderne Roboter ein.

Foto: Ford

2023 läuft das erste E-Modell von Ford in Europa vom Band. Bis dahin werden zwei neue Produktionshallen auf- und vorhandene Produktionsanlagen umgebaut. „Eine der größten Herausforderungen ist, dass wir zunächst das neue E-Modell und den Ford Fiesta parallel produzieren werden.“

Was das bedeutet, zeigt sich derzeit in der Y-Halle, wo sich Endmontage und Lackiererei der Fiesta Fertigung befinden. Bisher lief die Endmontage des Ford Fiesta auf zwei parallelen Fertigungslinien. Eine davon wird nun komplett abgebaut. „Für das neue Modell müssen wir eine ganz neue Fertigungslinie aufbauen“, erklärt Drazic. Dafür erweitert das Team von Drazic die Montagebänder, verstärkt das Hängetransportsystem und installiert eine neue automatisierte Reifenmontage-Anlage sowie neue Prüfstände für die Scheinwerfereinstellung. Auch die Linie mit der Endkontrolle der Fahrzeuge wird erneuert.

Die Produktionsanlagen
müssen erneuert werden 

Das neue Modell ist nicht nur größer und schwerer, es ist vollelektrisch. Die neue Antriebsart erfordert zusätzliche Neuerungen bei den Produktionsanlagen – besonders beim Herzstück der Kölner Endmontage, der sogenannten „Hochzeit“. Der Begriff bezeichnet im Produktionsprozess die „Vermählung“ von Antriebsstrang und Karosse. Beim neuen E-Modell werden künftig Lithium-Ionen-Batterien und Elektro-Motoren zusammen mit den Vorder- und Hinterachsen in die Karossen eingefügt. In der Fiesta-Fertigung ziehen bei diesem automatisierten Prozess, vier Roboter sechs Schrauben an und verbinden so Antriebsstrang und Karosse. Beim künftigen E-Modell wird dieser Vorgang deutlich komplexer. Die Roboter müssen dann bis zu 53 Schrauben befestigen. Entsprechend aufwendig gestaltet sich die vorherige Vorbereitung der Karosserieunterböden.

Deshalb steht in der Produktionshalle gerade ein mehr als 100 Meter langes weißes Kunststoffzelt. Es dient als Staubschutz. Darunter haben Bauarbeiter eine rund 100 Meter lange, neun Meter breite und drei Meter tiefe Grube ausgehoben. Dorthin kommt das neue Stelzenband, das die Karossen auf 60 Zentimeter hohen Stelzen befördert. Die Beschäftigten können so von oben an den Werkstoffträgern arbeiten und die Unterböden für das „Decking“ vorbereiten. „Das ist ergonomisch besser, und unsere Beschäftigten sind dadurch auch flexibler, um unterschiedliche Arbeitsschritte auszuführen“, erklärt Drazic.

Bevor die Karossen in die Endmontage gelangen, bekommen sie ebenfalls in der Y-Halle ihre Lackierung. In diesem Bereich der Halle ist im Werkurlaub besonders viel los. „Wir haben derzeit 45 Baustellen in der Lackiererei“, sagt Britta Dürscheid als Projektleiterin. So baut Ford für das E-Modell gerade eine neue Nahtabdichtungs-Anlage auf. Dort werden die Karossen versiegelt, bevor die verschiedenen Lackschichten aufgetragen werden. Aber Ford rüstet auch vorhandene Anlagen um, führt dabei neue Technologien ein und setzt verstärkt auf Industrie 4.0-Anwendungen. Die Primer-Anlage, in der die erste eigentliche Farbschicht aufgetragen wird, war bisher stationär. Künftig kommen hier vierzehn Software gesteuerte, intelligente Roboter zum Einsatz.

Roboter lackieren genauer
als eine stationäre Anlage

Zehn von ihnen sind für den Farbauftrag zuständig. „Sie lackieren genauer als die stationäre Anlage“, erklärt Dürscheid. „Es gibt also weniger Lacknebel, sprich wir reduzieren den Materialaufwand.“ Die übrigen vier Roboter sind mit Kunststoffbürsten ausgestattet, um vor dem Farbauftrag die Oberflächen zu reinigen und letzte Staubpartikel zu entfernen. Bislang übernahmen große Rollen mit Emu-Federn diese Aufgabe. Nun sind die Roboter dank feinster Sensorik so exakt einstellbar, dass sie beim Reinigen nicht auf die feinen Abdichtungsnähte treffen. Im künftigen Verfahren kann das Abdichtungsmaterial deshalb noch feucht, also weich sein und muss nicht wie bisher zunächst getrocknet werden.

Auch die Bauarbeiten für die beiden neuen Produktionshallen, mit denen Ford im vergangenen Sommer begann, schreiten voran. Gegenüber der Y-Halle entsteht ein rund 25 Meter hohes, 24 Meter breites und 106 Meter langes Gebäude. Dort werden künftig die Rohkarossen des E-Modells vorbehandelt, bevor sie in die Lackiererei kommen. Schräg dahinter befindet sich mit einer Grundfläche von 25.000 Quadratmeter die zweite neue Halle, in der Ford im Rohbau die Karosserieunterböden des vollelektrischen Crossovers fertigen wird. Die Hochbauarbeiten sind bei beiden Gebäuden fast abgeschlossen. Nun folgen der Innenausbau sowie die Installation der Produktionsanlagen. „Wir sind mit den Bauarbeiten bei beiden Hallen absolut im Plan“, ist Drazic zufrieden.

Insgesamt investiert Ford knapp zwei Milliarden Euro in den Umbau des Standorts. Das ist die größte Investition in der 91-jährigen Geschichte der Kölner Ford-Werke. Im ersten Electrification Center von Ford in Europa rollt ab 2023 das erste vollelektrische Modell vom Band, und ab 2024 folgt ein zweites E-Modell. Innerhalb von sechs Jahren plant Ford, 1,2 Millionen Einheiten dieser beiden E-Modelle zu produzieren. Das Kölner Werk spielt damit eine entscheidende Rolle bei der Elektrifizierungsstrategie des Automobilherstellers. Bis 2030 will Ford in Europa nur noch vollelektrische Pkw-Modelle verkaufen.

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