Buch Der „Wilde Westen“ von Köln

Köln. · Ein Bildband erzählt die Veedelsgeschichte von Sülz und Klettenberg, die mit fünf Höfen begonnen hatte.

 Bildband

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Foto: Emons/EMons

Heute gehören Sülz und Klettenberg im Kölner Westen zu den beliebtesten Wohnquartieren der Stadt. Die Universität hat dort ebenso ihren Sitz wie das Justizzentrum an der Stelle des früheren Güterbahnhofs und das Geißbockheim des FC, das auf einem preußischen Festungswerk entstanden ist. Auf dem Sportplatz des ASV am Militärring hatte Schmusesänger Howard Carpendale einst seine Leidenschaft für Rugby ausgelebt. Im quirligen Geschäftszentrum von Sülz hatten die Eltern von Entertainer Stefan Raab früher ihre bekannte Metzgerei.

Schon im Mittelalter gab es das Dorf Sülz mit einer St. Nikolauskapelle und einem Frohnhof, der im Besitz der Abtei St. Pantaleon stand, sowie die am Duffesbach gelegenen Landgüter Weißhaus sowie Ober- und Unterklettenberg. Zusammen mit dem Komarer Hof bildeten sie die Herrlichkeit Sülz, ein grundherrlicher Verwaltungsbezirk.

Im Mittelalter gab es
schon das Dorf Sülz

Im Zuge des Burgundisches Krieges verschwanden das Dorf und seine Kapelle. Fortan duldete der Rat der Stadt keine großen Ansiedlungen in diesem Gebiet mehr, um einem anrückenden Feind keinen Stützpunkt zu bieten. Übrig blieben nur der unter dem Namen Neuenhof wiederaufgebaute Frohnhof, das Weißhaus und die beiden Klettenberger Höfe.

Erst mit den Preußen gab es auf dem Gebiet der heutigen Stadtteile Veränderungen. Dort entstand der Festungsring, für dessen Bauwerke entsprechendes Baumaterial benötigt wurde. So entstanden die ersten Sand- und Kiesgruben sowie Ziegeleien. Wegen des Platzmangels in Köln gaben viele Landwirte dort ihre Höfe auf und siedelten sich auf ihren Feldern neu an. So entstand im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts Sülz. 1869 erschien der Name Sülz erstmals in einem Kölner Adressbuch. Neben den Bauernhöfen und Wohngebäuden gab es kleine Fabriken und Gewerbebetriebe. Auch der Einzelhandel entwickelte sich.

Sülz gehörte zu drei Bürgermeistereien

Zu den Problemen gehörte, dass Sülz administrativ geteilt war. Mit Efferen, Müngersdorf und Rondorf waren drei Bürgermeistereien zuständig. Mitte der 1860er Jahre entwickelte sich der kleine Siedlungskörper Weißhaus, außerdem vereinigten sich die beiden Klettenberger Höfe. 1888 wurden Sülz, die Ansiedlung Pfannenschuppen mit den Ortsteilen und Höfen Weißhaus, Komar, Neuenhof und Klettenberg nach Köln eingemeindet. Auch große Fabriken fanden jetzt in Sülz ihren Platz.

Ab 1900 begann der großflächige Ausbau von Sülz mit städtisch geprägten bürgerlichen Wohnvierteln. Parallel dazu entstand Klettenberg als reines Wohngebiet. Seit 1898 war die Köln-Bonner-Eisenbahn im Einsatz, auf deren Weg heute die Stadtbahnlinie 18 unterwegs ist. Auch das Straßennetz wurde ausgebaut. Schwierig waren für die Entwicklung die militärischen Auflagen für die Umgebung der Festungswerke, welche die Bebauung teilweise einschränkte.

In seinem gerade erschienenen Bildband erzählt der Sülzer Autor Eusebius Wirdeier die Geschichte der beiden Veedel zwischen 1855 und 1985 mit mehr als 300 zum größten Teil unveröffentlichten Bildern. Sie führen den Leser in Hinterhöfe, Gärten und alten Bauernhöfen – in den Wilden Westen Kölns genauso wie in die kalten Tage des Nationalsozialismus. Gezeigt wird aber auch das bunte Leben und jecke Treiben in Sülz und Klettenberg.

Es sind Geschichten wie die vom Eisenwarengeschäft Bosen an der Marsiliusstraße, das 1875 eröffnet worden ist, oder von den Cito Fahrradwerken in Klettenberg, dessen Produkte schnell auch außerhalb Kölns sehr beliebt waren. 170 Mark kostete am Ende des 19. Jahrhunderts so ein Rad – ein kleines Vermögen. Ein kurzer Abschnitt der Berrenrather Straße erinnert den Autor wegen der ungeregelten, urwüchsigen Bauten an den „Wilden Westen“. Es war aber auch die Goldgräberstimmung vor der Eingemeindung, welche die Kölner massenhaft in den Westen – in die Ville – lockten. Im Vorgebirge wurde das „schwarze Gold“ damals ausgegraben, dort lagen die Arbeitsplätze.

Weitere Geschichten des spannenden Bildbandes betreffen zum Beispiel die Fabriken im Gartenland bei der aufkommenden Industrialisierung, die aus Sülz ein Mischgebiet aus Wohnen und Arbeiten gemacht haben.

Erzählt wird außerdem die Geschichte von Friedrich August Ernst „Fritz“ Encke, der seine Gartenkunst und -verwaltung in den Veedeln praktisch umsetzte. Unter ihm entstanden unter anderem der Klettenbergpark und der Decksteiner Weiher.

Auch dem Dienstagszug in Sülz ist ein jeckes Kapitel gewidmet genauso wie dem Auerbachplatz auf dem der Sülzer Markt standfand. Damals hieß er noch Blankenheimer Platz. Er erinnert seit 1946 an den Chefarzt des jüdischen Krankenhauses in Ehrenfeld. Dazu kommt das Kapitel zur neuen Universität und zum Fotografen Chargesheimer.

Eusebius Wirdeier (Hg.): Fotogeschichten Sülz Klettenberg 1855-1985, Emons-Verlag, 240 Seiten, 35 Euro.

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