Klaus Gutjahr: „Meine Heimat ist das Bandoneon“

Warum ein Burscheider Musiker ausgerechnet der Musikstadt den Rücken kehren musste, um seiner Passion zu frönen. Das Instrument begleitet Klaus Gutjahr seit der Kindheit.

Burscheid. Die Klänge des Bandoneons begleiteten bereits seine Kindheit und Jugendjahre in Burscheid. Das fast in Vergessenheit geratene Musikinstrument bestimmt auch bis heute das Leben von Klaus Gutjahr. Der 64-Jährige ist einer der wenigen Menschen weltweit, die noch ein Bandoneon bauen können und gehört zu rund 30 Musikern, die das Instrument heute in Deutschland noch spielen. Sein Vater, der als Fliesenleger arbeitete, spielte auf dem Bandoneon und brachte es seinem Sohn bei.

Das Instrument erinnert auf den ersten Blick an ein Akkordeon, klingt jedoch völlig anders. „Es verfügt über ganz andere Klangräume“, erklärt Gutjahr, der heute in Berlin lebt. Geboren wurde er in Sachsen-Anhalt, danach zog die Familie zuerst nach Leverkusen und dann nach Burscheid. Dass ein Musiker ausgerechnet die Musikstadt Burscheid verließ, lag ebenfalls am Bandoneon. Das Instrument geriet nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit. „Die Volksmusik, die auf dem Bandoneon gespielt wurde, stammt aus den 20er und 30er Jahren“, sagt Gutjahr. Da es von Laien und nicht von professionellen Musikern gespielt wurde, mangelte es an ordentlichen Notenschriften. „Es fehlte eine eigenständige Musik“, erklärt Gutjahr. Gleichzeitig sei der Einfluss amerikanischer und britischer Musik in den 50er Jahren immer weiter gewachsen.

Als Gutjahr Musik studieren und das Bandoneon als Hauptinstrument wählen wollte, blieb ihm nur der Umzug nach Berlin. Dort gab es mit Ernst Kußerow den letzten Lehrer. 1968 begann er mit seinem Studium am Julius-Stern-Institut der Staatlichen Musikhochschule Berlin. 1975 schloss er mit dem Lehrerexamen ab. „Ich bin der einzige Mensch mit einem Lehrerexamen mit dem Schwerpunkt Bandoneon“, sagt Gutjahr. Das Instrument sei und bleibe ein Exot.

Vielleicht gerade deswegen bleibt der 64-Jährige seinem Instrument bis heute treu. Spielte er im Studium noch maßgeblich Barockmusik auf dem Bandoneon, entdeckte er später ein anderes Land, in dem sich sein Instrument außergewöhnlicher Beliebtheit erfreute: Argentinien. Denn der Tango, der mittlerweile auch in Deutschland populär geworden ist, wäre ohne Bandoneon nicht denkbar. Gutjahr reiste in das südamerikanische Land und lernte das Spielen von Tangomusik. Zurück in Berlin gründete er 1982 ein Tango-Ensemble. Außerdem spielte er mit Liedermachern wie Hannes Wader, Wolf Biermann und Klaus Hoffmann, die den Klang des Bandoneons für ihre Plattenaufnahmen schätzten.

Da die Firmen, die das Bandoneon in den 20er und 30er Jahren hergestellt hatten, nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr existierten, wurden keine neuen Instrumente mehr gebaut. Das brachte Gutjahr auf die Idee, sich selber an einer Konstruktion zu versuchen. „Da ich genau wie mein Vater eine Ausbildung zum Fliesenleger gemacht hatte, verfügte ich über handwerkliches Geschick“, sagt Gutjahr. 1976 traf er schließlich den Orgelbauer Werner Baumgartner, der ihm wertvolle Hinweise für den Bandoneon-Bau mit auf den Weg gab. „Ich bin durch die halbe Welt gereist, um die richtigen Materialien zu finden“, erinnert sich Gutjahr. Um die richtigen Hölzer aus Fichte, Ahorn und Buche verbauen und eine Stimmtonplatte aus Zink herstellen zu können, betrieb er einen großen Aufwand. Sogar eigene Werkzeuge ließ er sich herstellen, um ein Bandoneon konstruieren zu können, das authentisch klingt.

Mittlerweile hat Gutjahr den Bau so weit verfeinert, dass seine Instrumente keine unerwünschten Nebengeräusche erzeugen. Das typische Klackern alter Exemplare aus den 20er Jahren ist bei Gutjahrs Bandoneon nicht zu hören. Die Instrumente, die er alle selber und jeweils individuell anfertigt, verkauft er weltweit. Viele seiner Kunden kommen aus Japan, Neuseeland und Südamerika. Insgesamt habe er seit den 70er Jahren rund 500 Bandoneon hergestellt. Gutjahr: „Es handelt sich also nicht gerade um ein kommerzielles Instrument.“

Nach Burscheid zieht es den Musiker immer wieder, wenn er dort seine Schwester besucht oder Auftritte in der Umgebung hat. Gutjahr: „Meine Heimat ist aber nicht Burscheid. Meine Heimat ist das Bandoneon.“

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