Interview „Jeder, der Hilfe braucht, soll Hilfe haben“

Gunnel und Manfred Durdel über ihr Engagement für Flüchtlinge, den Wert des Zuhörens und eine neue Form, Heiligabend zu feiern.

Burscheid. Seit in diesem Jahr die Zahl der Flüchtlinge zugenommen hat, engagieren sich auch immer mehr Menschen ehrenamtlich für die Neuankömmlinge. Ein Beispiel unter vielen sind Manfred und Gunnel Durdel. Die Eheleute setzen sich schon seit Jahrzehnten für Flüchtlinge ein, nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihres christlichen Glaubens.

Wie hat Ihr ehrenamtliches Engagement für die Flüchtlingsarbeit in Burscheid begonnen?
Manfred Durdel: Anfang der 80er Jahre, als die Boat-People nach Deutschland kamen, haben drei befreundete Familien aus unserer Gemeinde Patenschaften für chinesische Familien übernommen, die damals aus Vietnam fliehen mussten.
Gunnel Durdel: Der Bund Freier evangelischer Gemeinden hatte in Ewersbach Häuser für die Flüchtlinge gebaut. Dort lebten sie ein halbes Jahr und lernten die ersten Schritte, um in diesem Land zu leben. Danach wurde in den Gemeinden gefragt, wer bereit sei, Patenschaften zu übernehmen. Nach Burscheid kamen damals drei Familien mit Kindern.

Wo haben sie gewohnt?
Manfred Durdel: Wir haben Wohnungen für sie besorgt und sämtliche Einrichtungsgegenstände wurden gespendet, in unserem Fall von Leuten in Odenthal, wo wir auch wohnen. Wir hatten einen Aushang in der Grundschule unserer Kinder gemacht und da kam alles zusammen, vom Teelöffel bis zur Waschmaschine.

Können Sie sich noch an Ihre damaligen Gefühle erinnern bei den ersten Begegnungen?
Gunnel Durdel: Das war sehr spannend. Die Kultur war ja völlig unterschiedlich. Die Boat People konnten ganz wenig Deutsch, trotz des halben Jahrs in Ewersbach. Da funktionierte vieles nur mit Händen und Füßen - und Lächeln. Und wir mussten schnell lernen, damit umzugehen, dass Asiaten nie Nein sagen dürfen.

Hat sich die Flüchtlingsarbeit bei Ihnen dann bis heute durchgezogen?
Manfred Durdel: Eigentlich ja. Wir haben die Chinesen jahrelang betreut. Schließlich haben sie im Ruhrgebiet ein Restaurant eröffnet und sind später nach Bayern gezogen. Ihre Jungs sind längst integriert. Einer wohnt in Leverkusen und arbeitet bei der Sparkasse, der zweite ist Elektriker geworden und der dritte hat das Restaurant der Eltern übernommen. Und dann kamen andere Leute, zum Beispiel dieser junge Mann aus Äthiopien (holt einen BV-Artikel vom August 1995 hervor). Zu dem Zeitpunkt brauchten die Chinesen keine Hilfe mehr. Es gab damals auch schon einen Arbeitskreis Flüchtlinge mit Grete Klippert, Hannelore Schmal, Edith Mennen, Lothar Schneider und uns.

Hat sich Ihr Blick auf Flüchtlinge durch Ihre Erfahrungen im Laufe der Jahre geändert?
Manfred Durdel: Nein, das sind Leute, die unsere Hilfe brauchen. Das ist es, was wir sehen, und da muss man helfen.
Gunnel Durdel: Ich bin ja selbst Ausländerin. Ich konnte zwar schon Deutsch, als ich hierher kam. Aber ich habe hier gelernt, wie wichtig es ist, schnell selbstständig zu sein. Man hat nicht immer jemanden, der einem sagt, was gemacht werden muss. Das habe ich auch versucht, an die Flüchtlinge weiterzugeben. Unser Einsatz soll eigentlich Hilfe zur Selbsthilfe sein. Mitgehen, helfen, zeigen, wie man zum Kreishaus nach Bergisch Gladbach kommt. Und nach dem zweiten oder dritten Mal schaffen sie es alleine.
Manfred Durdel: Obwohl wir leider gemerkt haben, dass es in der Behandlung oft einen Unterschied macht, ob ein Deutscher dabei ist oder nicht.
Gunnel Durdel: Einer der chinesischen Jungs war Epileptiker und ich bin oft mit ins Krankenhaus gegangen. Das war für beide Seiten gut. Denn die Mutter hatte beim Blutabnehmen viel Angst, weil sie in ihrer Heimat die Erfahrung gemacht hatte, dass zu viel Blut abgenommen wurde, um es zu verkaufen. Und für die Ärzte war es auch gut, weil ich ihre Ansprechpartnerin wurde. Am Anfang wurde die Mutter nämlich gefragt, ob sie alles verstanden habe, und sagte immer Ja, weil sie aus Höflichkeit eben nicht Nein antworten durfte. Das führte zu einiger Verwirrung.

Wie sehr lassen Sie die Flüchtlingsschicksale an sich heran oder erfahren überhaupt davon?
Manfred Durdel: Das hängt natürlich davon ab, wie eng man in Kontakt kommt. Der junge Äthiopier zum Beispiel bekam einen Job hier in Burscheid und wurde dort so gemobbt, dass er es nicht mehr aushielt und nach England ging. Dort lebt er heute noch. Das hat uns betroffen gemacht.
Gunnel Durdel: Wie viel man erfährt, hängt auch davon ab, wie viel Zeit man sich nimmt. Es ist sicher gut, wenn man diesen Menschen Essen bringt, sie zum Arzt oder zu einer Behörde begleitet. Aber ich habe gelernt, dass das fast Allerwichtigste ist, sich hinzusetzen, da zu sein, zuzuhören.

Wie Sie jetzt die aktuelle Situation sehen, macht Ihnen die hohe Zahl der Flüchtlinge Angst?
Manfred Durdel: Nein. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind zwischen zwölf und 14 Millionen Menschen aus den Ostgebieten als Flüchtlinge hier eingeströmt und dann zwangszugewiesen worden. Wir selbst wurden einer Familie in der Nähe von Brandenburg ins Haus gesetzt. Damals war alles kaputt hier und heute leben wir im Wohlstand. Ich meine, wir müssten durchaus in der Lage sein, das zu verkraften.

Haben Sie persönlich Sorge, dass die Stimmung in Deutschland kippen könnte?
Manfred Durdel: Eine schwierige Frage. Ich hoffe, dass sich letztlich die Einsicht durchsetzt, dass diese Leute keine Bedrohung sind, sondern eine Bereicherung.
Gunnel Durdel: Es ist ja auch nicht nur uneigennützig, dass Deutschland die Türen aufmacht. Es ist auch eine Notwendigkeit, weil wir in Zukunft mehr Menschen brauchen, die beispielsweise in der Altenpflege arbeiten. Aber ich glaube schon, dass unsere Kanzlerin da auch ein Stück ihr Herz hat sprechen lassen, als sie dieses Elend sah. Und was die Angst betrifft: Viel hängt damit zusammen, dass man die Menschen nicht kennt. Aber je mehr wir in dem Bereich gearbeitet haben, umso mehr haben wir den Einzelnen gesehen und nicht mehr die Masse. Und wir stellen immer wieder fest, das sind ganz normale Menschen, die nur im Moment besondere Bedürfnisse haben, weil sie ihr Land und das, was sie lieb hatten, verlassen mussten. Ich kann die Angst verstehen, wenn man immer nur die Zahlen hört. Aber wenn man lernt, den Einzelnen zu sehen, verschwindet die Angst.

Wie erleben Sie die Flüchtlinge, die jetzt ganz neu in der Stadt sind?
Manfred Durdel: Sie sind sehr tastend, ganz vorsichtig und unsicher. Die Bedenken, die da manchmal geäußert werden über ihr mögliches Verhalten, kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich erlebe sie als übervorsichtig.

Was ist aus Ihrer Sicht wichtig für die Integration?
Manfred Durdel: Sprache.
Gunnel Durdel: Und Wertschätzung. Was unsere Kanzlerin sagte: Jeder, der kommt, ist ein Mensch und hat auch eine Menschenwürde. Das dürfen wir nicht vergessen. Die Flüchtlinge sind genauso viel wert wie alle, die hier wohnen, egal ob es Ausländer sind oder Inländer. Es geht viel darum, den Menschen einen Selbstwert zu geben. Da spielt natürlich auch unser christlicher Glaube hinein: Wir sind von Gott geliebt und sollen diese Liebe weitergeben. Darum machen wir ja wie andere Gemeinden auch in unserer Gemeinde die Türen auf, laden die Leute ein, sich zu Hause zu fühlen.

Wo engagieren Sie sich aktuell?
Manfred Durdel: Im Sprachunterricht. Darauf hat mich unser damaliger Gemeindeleiter Lothar Schneider gestoßen, als ich in den Ruhestand ging. Angefangen hat es mit Russlanddeutschen. Das waren Tafelkunden und die hat Herr Schneider dann zu mir geschickt. Jetzt gebe ich in unserem Gemeindehaus in der Weiherstraße Deutschunterricht, ohne Ansehen der Religion. Das spielt überhaupt keine Rolle.
Gunnel Durdel: Meine Aufgabe ist meist die Begleitung zu Ärzten, Ämtern, Schulen und Kindergärten und oft auch das Telefonieren. Da geht es nicht immer nur um das Verstehen, sondern auch um die Angst, nicht die richtigen Antworten geben zu können.

Sie haben gerade Angela Merkel angesprochen. Glauben Sie, wir schaffen das?
Manfred Durdel: Ja.
Gunnel Durdel: Ich glaube das auch. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Es wäre beschämend, wenn wir das nicht schaffen würden. Die Situation im Herbst war chaotisch. Aber die Deutschen sind ja sehr gut im Organisieren und langsam versucht man, Strukturen zu schaffen. Das muss auch sein. Aber ich habe Schwierigkeiten zu verstehen, dass angeblich so viele Leute so viel Angst haben vor den Fremden und dass sie uns überrennen. Dabei gibt es weltweit 50 bis 60 Millionen Flüchtlinge und davon kommt eine Million zu uns.

Manfred Durdel: Aber diese Art Willkommenskultur am Anfang, als die Menschen jubelten, war übertrieben. Darin finde ich mich nicht wieder, weil ich weiß, welche Probleme das mit sich bringt.
Gunnel Durdel: Aber hing das nicht viel damit zusammen, einen Gegenpol zur Pegida-Bewegung zu schaffen? Die Menschen wollten zeigen: Wir sind nicht so. Wir sind anders und wollen freundlich zu euch sein. Und ich habe noch immer im Ohr, wie uns damals, als die Boat-People kamen, ein Missionarsehepaar aus Norwegen besuchte. Der Mann sagte: „Vergesst nie, das sind nur die Stärksten, die jetzt kommen.“ Da ist etwas dran. Die ganz Schwachen schaffen das überhaupt nicht. Es kommen nur die an, die kämpfen können, die sich auf den Weg machen in eine neue Zukunft. Sie haben zwar keine Ahnung, was sie erwartet, und manchmal sind sie auch enttäuscht, weil in den Herkunftsländern Märchen in die Welt gesetzt werden, wie toll es in Deutschland ist. Aber ihre Stärke erleichtert sicher die Integration.

Sie haben vorhin schon von Ihrem Glauben gesprochen. Ist das die Quelle Ihres Engagements?
Manfred Durdel: Ja, durchaus. Ich tue das nicht, um etwas Tolles zu machen, sondern einfach, um menschlich zu sein und christlichen Glauben praktisch zu leben.

Und dass gerade besonders viele Muslime kommen, ist für Sie kein Problem?
Manfred Durdel: Nein. Wir betreiben auch keine besondere Mission. Wir behandeln sie wie jeden anderen Menschen auch.
Gunnel Durdel: Jeder, der kommt und Hilfe braucht, soll Hilfe haben.

Spielt das Thema Flüchtlinge auch in Ihr privates Weihnachtsfest hinein?
Manfred Durdel: Nach unserem Heiligabend-Gottesdienst werden wir im Gemeindehaus bleiben und zusammen mit Flüchtlingen essen und den Abend verbringen.
Gunnel Durdel: Es haben sich inzwischen knapp 60 Leute angemeldet. Das ist auch neu für uns als Gemeinde, erstmals nicht zu Hause zu feiern. Wir machen uns das so einfach wie möglich und bitten jeden aus der Gemeinde, der kommt, etwas mitzubringen. Es geht um Begegnung und es kommen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch einsame Menschen aus der Gemeinde. Das versuchen wir aufzufangen und wir sind gespannt, wie das wird.

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