„Ehrenamtler müssen lernen, sich abschotten zu können“

Dagmar Zimmer, Vorsitzende der Flüchtlingshilfe, spricht über die Belastung der Helfer, wenn betreute Familien plötzlich ausgewiesen werden.

„Ehrenamtler müssen lernen, sich abschotten zu können“
Foto: Doro Siewert

Burscheid. Die Flüchtlingshilfe Burscheid ist seit Oktober aktiv. Vorsitzende ist die Burscheiderin Dagmar Zimmer, die zwar schon seit Jahren auch für die Tafel als Schriftführerin tätig ist, mit menschlichen Schicksalen aber nun auf eine ganz andere Weise konfrontiert wird: Schon morgen können die Menschen, die man eben noch unterstützt hat, nach Hause geschickt werden. Wir sprachen mit ihr über die emotionale Spannungslage, mit denen jeder Ehrenamtler in der Flüchtlingshilfe konfrontiert werden.

Frau Zimmer, sie sind seit Oktober Vorsitzende der Flüchtlingshilfe. Damit sind Sie noch recht frisch im Amt. Wie sind ihre ersten Eindrücke?

Dagmar Zimmer: Ich bin beeindruckt von der Spendenbereitschaft der Burscheider. Ich hätte nicht erwartet, dass die Unterstützung so intensiv ausfällt. Und es ist ja nicht so, dass andere, die ebenfalls auf Spenden angewiesen sind, darunter leiden. Bei der Tafel beispielsweise ist die Spendenbereitschaft dadurch nicht geringer geworden.

Woran könnte das liegen?

Zimmer: Ich glaube, dass Burscheid durch die Flüchtlinge zusammengewachsen ist. Das sieht man an verschiedenen Aktivitäten wie zum Beispiel das virtuelle Möbellager. Viele wollen mit anpacken, viele wollen helfen. Das ist wie eine große Familie. Jeder Einzelne fühlt sich verantwortlich.

Häufig wird diese Hilfsbereitschaft aber nicht dadurch belohnt, dass man den Menschen auf Dauer helfen kann. Viele müssen das Land wieder verlassen. Was löst das in Ihnen aus?

Zimmer: Man fühlt sich dann einfach nur hilflos. Aber als Ehrenamtler in diesem Bereich muss man auch lernen, dass man nicht jede Familie zu einem Anwalt bringen kann. Zumal auch von dort schnell das Signal kommt, dass in bestimmten Fällen keine Hilfe möglich ist und eine Abschiebung wahrscheinlich.

Sie erleben zurzeit solch einen Fall . . .

Zimmer: Das stimmt. Die Familie stammt aus Albanien. Wir haben lange darum gekämpft, dass der siebenjährige Junge in der Grundschule integriert wird. Das ist jetzt der Fall. Und der andere 17-jährige Sohn spricht schon Deutsch. Am kommenden Montag muss die Familie nach Bergisch Gladbach, um dort die Ausreisemodalitäten zu klären. Gerade jetzt, wo die ersten Schritte der Integration gelungen sind.

Wie gehen Sie damit um?

Zimmer: Ich finde das seelisch grausam. Aber man lernt dadurch auch, sein Leben neu wertzuschätzen. Auch meine 14-jährige Tochter sieht in ihrer Klasse, dass Kinder kommen und wieder gehen. Auch sie lernt in ihrem Leben Dinge neu wahrzunehmen.

Müssten Ehrenamtler nicht besser auf diese seelischen Anforderungen vorbereitet werden?

Zimmer: Je intensiver die Helfer im Vorfeld auf möglich Probleme angesprochen werden, desto größer wird wahrscheinlich die Hemmschwelle, sich einzubringen. Ich denke, es ist besser, ins kalte Wasser zu springen.

Aber sie müssen schon betreut werden . . .

Zimmer: Natürlich, das geschieht ja auch. Ehrenamtler müssen die Fähigkeit erlernen, sich abschotten zu können. Natürlich ist es ein Problem, wenn man in Burscheid keine Negativerfahrungen macht. Die Asylbewerber, die bei uns bei der Tafel sind, sind so nette Leute. Es ist schwierig sich abzugrenzen. Wir haben beispielsweise drei afrikanische Frauen mit drei kleinen Babys. Da entsteht ein ganz andere Bindung. Es ist schwierig zu sagen, da ist die Grenze. Aber das muss jeder für sich bestimmen und lernen. Und wir müssen lernen, dass wir nicht allen Menschen helfen können.

Was halten Sie von dem aktuellen CSU-Vorstoß, Flüchtlingen ohne gültige Ausweispapiere den Weg nach Deutschland zu versperren?

Zimmer: Das würde vermutlich genau die falschen treffen. Flüchtlinge, die aus Kriegsgebieten kommen, schaffen es womöglich gar nicht, ihre Ausweise bei der Flucht nicht so schnell zur Hand zu haben. Die Zeit bleibt ihnen nicht mehr.

Sie und ihre Mann haben in Burscheid einen Installationsbetrieb. Würden Sie einem Flüchtling die Ausbildung ermöglichen?

Zimmer: Natürlich. Voraussetzung sind aber halbwegs gute Deutschkenntnisse. Die Sprache ist eigentlich das Wichtigste. Wer eine Ausbildung macht, muss in die Berufsschule gehen. Und die ist nicht ganz so leicht. Das merken wir jetzt schon bei vielen deutschen Auszubildenden. Auch die Anforderungen im Beruf selbst sind immer größer geworden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort