Der Organisator des Zirkustraums

Patrick Philadelphia ist Betriebsleiter und Sprechstallmeister bei Roncalli. Daheim in Burscheid trifft man ihn nur selten.

Der Organisator des Zirkustraums
Foto: Eppinger/Roncalli

Burscheid/Köln. Es ist kurz nach sechs am frühen Abend. Aus dem Zirkuszelt auf dem Kölner Neumarkt dringen die Lachsalven des Publikums. Die Nachmittagsvorstellung geht ihrem Ende zu. Patrick Philadelphia sitzt in seinem kleinen Büro am Ende des Garderobenwagens und blickt auf zwei Computerbildschirme. Der eine überträgt das Geschehen in der Manege. Mit dem anderen plant der 42-Jährige schon wieder drei Schritte voraus. Zu sehen ist der Vorplatz des Residenzschlosses von Ludwigsburg — der übernächsten Station des Circus Roncalli.

Der Organisator des Zirkustraums
Foto: Eppinger/Roncalli

In Ludwigsburg gastiert Roncalli zum ersten Mal überhaupt. Ein Grund mehr für den Betriebsleiter, akribisch am Stellplan zu arbeiten: Wie stehen die Wagen, wo befinden sich die Strom- und Wasseranschlüsse, wie lässt sich vor der historischen Kulisse die bestmögliche Wirkung erzielen?

Der Organisator des Zirkustraums
Foto: Bertrand Guay/Roncalli

Dabei stellt sich vor Ludwigsburg noch eine ganz andere Aufgabe: Wenn das Gastspiel der Jubiläumstournee in Köln mit der Abendvorstellung am 22. Mai beendet ist, steht Düsseldorf auf dem Plan. Dort soll es am 26. Mai um 15.30 Uhr schon weitergehen. Und die historischen Zirkuswagen werden diesmal nicht mit der Bahn befördert, sondern komplett mit Transportern über die Straße. „Das ist eine logistische Herausforderung.“

Der Organisator des Zirkustraums
Foto: Roncalli

Die Organisation des Zirkuslebens hat Patrick Philadelphia schon von Kindesbeinen an fasziniert. Er wuchs in einer Zirkusfamilie auf, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Sogar in einem Schiller-Gedicht findet sich der Familienname wieder. Als Patrick acht Jahre alt ist, wechselt Vater Karlheinz mit seiner Pferdedressur zu Roncalli. Aber den Sprößling zieht es weniger in die Manege: „Ich habe mich mehr für die Technik und Programmgestaltung interessiert. Während andere mit Playmobil gespielt haben, habe ich Siku-Autos mit Nagellack umlackiert und mir mein eigenes Zirkuszelt gebastelt.“

Mittlerweile hat er selbst eine Familie. Ehefrau Eliza (46) lernte er 1994 in seiner Zeit als Zeltmeister beim Circus Flic Flac kennen. Sie ist ebenso Artistin wie Tochter Geraldine (20). Beide waren auch schon mehrfach Teil des Roncalli-Programms.

Und dann ist da noch Sohn Justin (9), Drittklässler der Grundschule in Dierath. Zumindest, wenn die Gastspiele von Roncalli es zulassen. 2004 haben die Philadelphias in Irlerhof gebaut. „Wir wollten den Winter nicht mehr im Wohnwagen in unserem Winterquartier in Köln verbringen und haben in der Umgebung nach einem Grundstück gesucht.“

Auch während des Kölner Gastspiels wird zu Hause übernachtet. Morgens schafft es Philadelphia noch ab und an, seinen Sohn zur Schule zu bringen. Dann fährt er weiter zum Zirkusplatz oder wie in der vergangenen Woche auch schon mal nach Düsseldorf, um sich den nächsten Gastspielort anzugucken. Nach Schulschluss kommt seine Frau mit Justin nach. Nach der Abendvorstellung fahren sie zurück nach Burscheid. Da geht es schon auf Mitternacht zu. „Justin hat dann schon etwas vorgeschlafen.“

In dieser Woche hat Justins Klasse 3b dem Zirkus einen Besuch abgestattet. Ein bisschen war das auch wie ein vorgezogenes Abschiedsfest ihres Klassenkameraden. Denn auf Düsseldorf und Ludwigsburg folgen fünf Monate Gastspiele in Österreich. Dann muss über die Schule für Circuskinder in NRW, ein Angebot der Evangelischen Kirche im Rheinland, wieder mühsam Einzelunterricht vor Ort organisiert werden. Derzeit sind nur zwei Kinder bei Roncalli schulpflichtig — zu wenig für die dauerhafte Begleitung durch eine Lehrerin.

Das Haus in Burscheid, in dem mittlerweile auch sein Vater lebt, sieht Patrick Philadelphia inzwischen noch seltener als geplant. „Ausgerechnet im Jahr der Fertigstellung haben wir mit dem Roncalli-Weihnachtscircus im Berliner Tempodrom begonnen. Das ist ein bisschen mein Baby.“

Will heißen: Bis in die erste Januarwoche wird weitergespielt. Zirkus ist teuer. Das Wirtschaftsunternehmen Roncalli mit seinen diversen Ablegern wie in Düsseldorf (Apollo Varieté), Hamburg (Weihnachtsmarkt) und Berlin kann sich lange Ruhezeiten nicht leisten. Wenn die Familie Philadelphia mal gemeinsam Urlaub machen will, dann bleiben dafür vor dem Saisonstart meist nur wenige Wochen im Februar. Und auch dann ist das Handy immer an.

40 Jahre besteht der Circus Roncalli, 20 Jahre arbeitet Patrick Philadelphia nun schon dort. Er hat sich zum Betriebsleiter hochgearbeitet, ist als Tagesregisseur für den Ablauf der Vorstellungen zuständig — und ab und an, wenn die Bürokratie und all das Organisatorische hinter dem Zirkustraum noch Zeit lassen, ist er doch auch mal kurz in der Manege zu sehen. Pikfein, wie es sich für einen Sprechstallmeister gehört, begrüßt er das Publikum. Auch in der legendären Clownsnummer „Bienchen, Bienchen, gib mir Honig“ mit Zirkusdirektor Bernhard Paul hat er schon mitgewirkt.

Aber dann ruft wieder das Büro. Oder ein logistisches Problem auf dem Platz. Oder ein Konflikt zwischen den über hundert Zirkusleuten aus 17 Nationen. „Wir versuchen, eine Illusion zu schaffen“, sagt er. „Aber Zirkus ist ganz, ganz harte Arbeit.“

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