Kultur Dem Wahnsinn auf der Spur

Köln · Seit zwölf Tagen hat das Theater der Keller wieder geöffnet. Drei Premieren gab es in dieser Zeit in der Tanzfaktur an der Siegburger Straße. „Die Leute kommen und applaudieren. Wir sind wieder da, wo wir sein wollen.

 Intendant Heinz Simon Keller (2.v.r.) mit seinem Theaterteam vor der Tanzfaktur.

Intendant Heinz Simon Keller (2.v.r.) mit seinem Theaterteam vor der Tanzfaktur.

Foto: step/Eppinger

In der Pandemie erkennt man, dass man die Zuschauer braucht und dass diese auch uns als Theater brauchen. Wir haben in der schwierigen Zeit des Lockdowns viel Zuspruch und Rückhalt gespürt“, sagt Intendant Heinz Simon Keller.

Die Pandemie hat das Theater und dessen Kreativteam immer wieder ausgebremst – viele Stücke kamen gar nicht vor Publikum auf die Bühne oder waren dort nur bei wenigen Vorstellungen live zu sehen. Das gilt zum Beispiel auch für „Danke Merkel“, ein Stück, das das 2019 gegründete Junge Ensemble Theater der Keller auf die Bühne gebracht hat. Es war nur viermal live zu sehen. Jetzt kommt das Stück Ende September für drei Vorstellungen zurück auf die Bühne und begleitet so den Abschied der Bundeskanzlerin nach der Bundestagswahl.

Geschichten vom
Wahnsinn Ende der 90er Jahre 

In der neuen Spielzeit, die Ende August beginnt, gibt es nun mit der Produktion, die den Arbeitstitel „Agenda“ trägt, ein neues Stück des Bürgerensembles, das sich als generationsübergreifendes Werk versteht und das Menschen zwischen 16 und 60 in das Theatergeschehen einbindet. Gezeigt wird das Stück in einem leerstehenden Bürogebäude, das zur begehbaren Bühne wird. Basierend auf autobiografischen Erlebnissen und kollektiver Recherche wird dort ein theatrales Utopielabor und Forschungsprojekt zu den Hintergründen und Auswirkungen der Agenda 2010 erschaffen. Statt Angela Merkel rückt nun Altkanzler Gerhard Schröder und der Wahnsinn am Ende der 90er Jahre in den Mittelpunkt des Interesses. Es geht um Hartz IV, um Ich-AGs und um die Transformation von Wirtschaft und Kunst in dieser Zeit. Die Premiere ist für Ende Oktober geplant.

„Wahnsinn und Gesellschaft“ ist ein Motto, das die gesamte kommende Spielzeit durchziehen wird. „Eine wahnsinnige Zeit liegt hinter uns, und sie ist noch nicht vorbei. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Wahnsinn und Vernunft bedingen sich gegenseitig, schreibt Michel Foucault, und ständig verschieben sich die Grenzen zwischen beiden. Was bisher an der Unterseite verborgen lag, ist plötzlich offen sichtbar. Wann konnte man das genauer, besser, direkter beobachten als in der Zeit der Pandemie“, sagt Keller.

Ein Schwerpunkt der Spielzeit 2021/22 ist die Sichtung von Stoffen und Phänomenen der klassischen Moderne unter dem Brennglas der Gegenwart. Das passiert zum Beispiel bei „Der Zauberberg“ nach Motiven von Thomas Mann, ein Stück das am 28. August Premiere feiern wird. Inszeniert wird der Klassiker von Charlotte Sprenger. Sie will für diesen eine neue Perspektive öffnen, denn sie lässt Hans Castorp nicht alleine ins Ungewisse gehen. Sie schickt ihn in einen existenziellen Todestraum voller Erinnerungen, Ängsten und Sehnsüchten. Und sie untersucht eine der größten Fragen, die die Leser vom „Zauberberg“ seit Jahrzehnten umtreibt: Lässt sich Hans vom Tod verführen oder siegt die Lust am Leben.

Am 21. Oktober gibt es im Theater der Keller die Premiere von „Rage“ von Simon Stephens als Koproduktion und Abschlussinszenierung der hauseigenen Schauspielschule. Es geht darin um Feierwut, aggressiven Leute und Menschen, die sich gerade frisch verliebt haben. Der Ort des Geschehens ist eine Straßenkreuzung in einer europäischen Metropole, wo die Silvesternacht exzessiv gefeiert wird. Das Stück entstand auf Basis einer Fotoserie, die Joel Goodman in der Silvesternacht 2015/16 im Zentrum von Manchester gemacht hat. Viele Themen und Emotionen sind hochaktuell und passen in eine Zeit, in der Menschen die Pandemie endlich hinter sich lassen möchten.

„Rettet den Kapitalismus!“ ist der Titel einer Wahnsinns-Revue, die Intendant Heinz Simon Keller Mitte Dezember auf die Bühne bringen will. Sie zeigt den Menschen in seiner Unersättlichkeit und fragt sich, ob der Wahnsinn des Kapitalismus heilbar ist oder, ob die Menschheit weiter in den Abgrund stolpert.

Die fünfte Premiere ist mit „Die Erfindung der Hysterie“ für den Februar 2022 eingeplant. Es geht dabei um eine Modeerscheinung um 1900. Ein berühmter Pariser Psychologe entdeckt die Hysterie, die damals besonders den Frauen zugeschrieben wurde. Auf der Bühne begegnet das Publikum Expertinnen und Ärztinnen mit einer neuen Therapieform im Gepäck. Sie versprechen mit einer Erfindung, das hysterische Leiden unter Taxifahrern, Königen, Politikern, Feuerwehrmännern und Leistungssportlern lindern zu können.

Zum Repertoire des Theaters der Keller zählen in der neuen Spielzeit Produktion wie „Das süße Verzweifeln“, eine Privatkomödie nach Interviews von André Müller, und „Heide Höcke steigt aus“, eine Farce von Ulrike Janssen – beides Stücke, die gerade jetzt im Juni ihre Premiere feiern konnten. Weitere Stücke sind: „Transit“, „Fight Club“, „Der Zauberer von Oz“, „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“, „Clockwork Orange“, „Bilqiss“ und „Terror“.

 

Service: Weitere aktuelle und kommende Termine im Theater der Keller sowie Infos zu den Tickets gibt es online unter:

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