Brücken der Herzlichkeit über einem Meer von Fragen

Die Delegation des Evangelischen Kirchenkreises Leverkusen ist aus Tansania zurückgekehrt. Der Versuch einer Bilanz.

Lukajange/Leverkusen. Angenommen, ein Tansanier machte sich auf, erstmals seinen Kontinent zu verlassen und für zwei Wochen den Landkreis Uecker-Randow in Mecklenburg-Vorpommern zu besuchen. Anschließend würde er sich noch ein paar Tage im Berliner Zoo entspannen und dann in seine afrikanische Heimat zurückkehren. Würden wir ihm zugestehen, nach dieser Reise Deutschland zu kennen - oder gar: Europa?

Dreieinhalb Wochen hat eine siebenköpfige Delegation des Evangelischen Kirchenkreises Leverkusen das ostafrikanische Tansania kennengelernt, zwei Wochen davon eingebunden in ein festes Besuchsprogramm im Partnerkirchenkreis Lukajange im äußersten Nordwestzipfel des Landes. Die Kagera-Region zählt schon innerhalb Tansanias zu den so entlegenen wie vergessenen Flecken.

Für alle Reiseteilnehmer war es der erste Tansania-Aufenthalt, für die meisten auch die erste Afrikareise ihres Lebens. Die Intensität des Besuchsprogramms und die Unterbringung in Privatfamilien haben einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der Partnerregion ermöglicht, wie er aus Touristensicht kaum möglich gewesen wäre.

Aber wie das so ist, wenn man sich auf ein Thema intensiver einlässt: Der Kenntnisvorsprung gegenüber den völlig Ahnungslosen wächst schnell an, zugleich wirft jedoch jede geklärte Frage nicht selten zehn neue auf.

Nicht alles sofort einordnen und interpretieren, was man sieht, sondern erst einmal nur wahrnehmen - das war uns vor Reisebeginn noch eingeschärft worden. Und doch ist die Delegation immer wieder der Versuchung erlegen, bei der Bewertung der Lebensverhältnisse die deutsche Brille aufzusetzen: Könnte man nicht durch das Drehen an dieser oder jener Stellschraube alles etwas effizienter, ökonomischer, zeitsparender gestalten?

Hätte nicht die Umsetzung dieser oder jener Idee die Bedingungen in einem der ärmsten Länder der Welt schon längst spürbar verbessert? Die eigene Kultur, ihre Errungenschaften und Lösungen zum Maßstab aller Dinge zu machen, dieser Verlockung ist scheints nur schwer zu widerstehen.

"Man darf die modernen Gesellschaften - das kann man gar nicht oft genug wiederholen - nicht nur nach der Effizienz ihrer Wirtschaftsstrukturen beurteilen; man muss sich vor allem den Menschen ansehen, den sie hervorbringen, und das Leben, das er führt. Was zählt, ist doch das Leben!" Das hat Tiziano Terzani, der inzwischen verstorbene langjährige Asienkorrespondent des Spiegel, in seinem Buch "Das Ende ist mein Anfang" gesagt.

Das hieße, dass Partnerschaftsarbeit eine schwierige Gratwanderung zu bewältigen hätte: Unterstützung da zu leisten, wo es um existenzielle Bedürfnisse wie Ernährung, Gesundheit und Bildung geht. Aber sich auch immer wieder zu fragen, ob mit der Hilfeleistung nicht gleich auch ein ganzes Weltbild exportiert wird, ein verstecktes "Macht es doch so wie wir."

Während unserer Reise haben wir viele aus Leverkusen geförderte Projekte besichtigt, die diese Gratwanderung zu meistern versuchen. Mit dem Kauf einer Kuh sollen arme Witwen mehr Selbstständigkeit erlangen. Die Übernahme des Schulgelds für die Tegemeo-Grundschule ermöglicht auch über 50 Kindern aus finanzschwachen Familien den Besuch der renommierten Privatschule. Schul- und kirchliche Bauten werden finanziell unterstützt.

"Was zählt, ist doch das Leben!" Im Zentrum des Besuchs standen aber vor allem persönliche Begegnungen. Sie sind der Humus der nun bald schon 25-jährigen Partnerschaft. Und die gegenseitigen Besuche im Abstand von zwei Jahren scheinen genug Nährstoff für eine lebendig bleibende Beziehung zu bieten.

Der tansanische Bischof Benson Bagonza jedenfalls lobt die Intensität des Austauschs zwischen Lukajange und Leverkusen. In anderen Kirchenkreisen seiner Diözese verlaufe die Gewinnung neuer Mitarbeiter für die Partnerschaftsarbeit deutlich schwieriger.

Was ist richtig, was ist falsch? Welche Fehler machen wir, welche die anderen? Wo sind unsere gegenseitigen Erwartungen deckungsgleich, wo nicht überein zu bringen? Das sind Fragen, die nicht nur die deutsche, sondern auch die tansanische Seite beschäftigen. Dass es dabei auch immer wieder zu Irritationen, Missverständnissen und Enttäuschungen kommt, ist unvermeidlich.

Aber der nachhaltigste Eindruck der Wochen in Tansania ist wohl der, dass diese Irritationen eher Ansporn als Hemmnis sind, immer wieder neue Brücken der Herzlichkeit zu bauen. Einer tansanischen Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die jenseits aller wirtschaftlichen Verhältnisse liegt - und uns in unserem Effizienzdenken manchmal ganz schön ärmlich aussehen lässt.

Während der Delegationsreise durch Tansania ist im Internet ein Webblog gepflegt worden, in dem Stationen und Impressionen des Aufenthalts auch weiterhin nachgelesen werden können.

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