Birgit Hoferichter: "Heiligabend ist der Tag, an dem sich die Bewohner am Limit befinden"

Interview: Heimleiterin Birgit Hoferichter über Einsamkeit, Glaubenskraft und den Ausweg aus ökonomischen Zwängen.

Frau Hoferichter, was kann Weihnachten als Fest einer Geburt und der Ankunft des Heilands Menschen am Ende ihres Lebensweges geben?

Birgit Hoferichter: Das Fest lebt aus einer vielfältigen Tradition, aus Erinnerungen und Hoffnungen, Wärme, Geborgenheit und Zuversicht. All das bekomme ich hier mit und wir greifen das an Heiligabend auch ganz besonders auf. Aber es ist auch der Tag, an dem sich die Bewohner wegen ihrer Erinnerungen am Limit befinden. Das hat natürlich etwas mit Einsamkeit zu tun. Viele der Menschen, die sie begleitet haben, leben einfach nicht mehr.

Gerade Weihnachten ist ja ein hochemotionales Fest, die Einbindung in die Familie spielt eine große Rolle. Wie gehen Sie mit dieser Einsamkeit Ihrer Bewohnerinnen und Bewohner um?

Hoferichter: Ich nehme das sehr ernst und mir ist wichtig, die Menschen in dieser Zeit besonders zu begleiten: durch Feste und Feiern, die schon am Anfang des Advents beginnen, durch Gedenkstunden und Gespräche. Aber auch mit Glühwein und Plätzchenbacken. Wir wollen dem Fest ja mit Fröhlichkeit und nicht nur mit Traurigkeit begegnen. Wir basteln und singen zusammen, im Grunde so, wie es auch in einer Familie immer wieder versucht wird.

Wie ausschließlich sind die Heimbewohner auf die Altenheimfamilie angewiesen?

Hoferichter: Da gibt es die ganze Spannbreite von denjenigen, die überhaupt niemanden mehr haben und auch keinen Bezug zu ehemaligen Nachbarn und Freunden, bis hin zu denjenigen, die noch sehr eingebunden sind in ihre Familie. Wir bieten allen Angehörigen, Nachbarn und Freunden an, an unseren Feiern teilzunehmen, auch an Heiligabend in den Wohnbereichen. Unter dem Weihnachtsbaum finden auch die Menschen Geschenke, die niemanden mehr haben. Es gibt außerdem Angehörige, die achten mit auf Bewohner, die gar keinen Besuch haben.

Und wie wird Heiligabend im Altenheim gefeiert?

Hoferichter: Der Tag beginnt um 10.30Uhr mit einem Gottesdienst mit Posaunenchor und unserem Hauschor. Weil dort die bekannten Lieder gesungen werden, können sich an dem Hauschor auch demente Menschen beteiligen. Die sind dann bis zur vierten oder fünften Strophe textsicher, da haben wir schon längst das Gesangbuch aufgeschlagen. Im Anschluss gibt es ein Mittagessen und dann beginnen in den drei Wohnbereichen die Vorbereitungen für die Feier ab 15 Uhr. In das Programm sind mitunter auch Angehörige oder Enkelkinder eingebunden, die mit der Flöte kommen oder etwas singen. Dieses Jahr werden auch Bratäpfel angeboten. Am Ende stehen die Bescherung und ein gemeinsames Abendessen.

Welche Bedeutung hat es für Sie, für einen christlichen Träger zu arbeiten?

Hoferichter: Diese Ausrichtung ist mir ganz wichtig. Mir gibt die Arbeit bei einem christlichen Träger Stärkung und Zuversicht. Meine Arbeit drückt sich auch ein Stück darin aus, dass ich ein gläubiger Mensch bin, und das gibt mir Kraft.

Wodurch wurden Sie als Christin geprägt?

Hoferichter: Das fing mit dem Kindergottesdienst an, den ich erst mal nicht so klasse fand. Aber wenn ich nicht wollte, haben mich meine Eltern auch gelassen. Die Zeit der Konfirmation waren für mich dann zwei ganz wichtige Jahre. Wir mussten immer sehr viel auswendig lernen und die meisten fanden das nicht gut. Aber mich hat der Pfarrer damit überzeugt. Er war in russischer Gefangenschaft gewesen und hatte keine Bibel, aber alles im Kopf und konnte daher Menschen Trost zusprechen, weil er die Texte kannte. Da habe ich mir gesagt, ein gewisses Handwerksmaterial brauchst du auch.

Für Sie war also die Konfirmation nicht wie so oft der Abschluss einer christlichen Sozialisation?

Hoferichter: Eher der Einstieg, auch in eine kritische Auseinandersetzung. Ich bin in Neuss großgeworden, da sind drei Viertel der Menschen katholisch. Die letzten drei Jahre habe ich eine katholische Mädchenschule besucht. Da war man als Protestantin schon etwas Besonderes. Aber die Auseinandersetzung mit der anderen Konfession hat mich auch bereichert. Das waren fruchtbringende Begegnungen. Ich bin auch viel in die katholische Kirche gegangen und habe dort die Jugendarbeit mitgemacht. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre war Ökumene angesagt und viel in Bewegung. Das hat mich mitgerissen und dazu gebracht, zunächst Theologie und Musik zu studieren.

Welche Bedeutung haben solche Formen der Wertschätzung und des gegenseitigen Respekts heute für Sie?

Hoferichter: Wenn hier jemand kommt und ist kein Christ, sondern vielleicht Muslim, finde ich das spannend und möchte auch ihn in diesem Haus weiter begleiten. Einmal hatten wir schon einen Bewohner islamischen Glaubens. Aber es gibt ja auch genügend Menschen, gerade aus den neuen Bundesländern, die keine christliche Sozialisation durchlaufen haben, und die werden hier genauso wertgeschätzt und auch nicht mit Gebeten überhäuft, besonders in Phasen, in denen sie sich nicht mehr gut artikulieren können. Mir ist wichtig, dass sie genauso akzeptiert werden wie jemand, der täglich beten will.

Wo könnte er das denn überhaupt, wenn er wollte?

Hoferichter: Dass wir hier keinen Gottesdienstraum haben, fehlt mir sehr. Das ist beim Bau in den 70er Jahren nicht eingeplant worden. Wir schaffen uns zwar immer einen Ort dafür. Die täglichen Morgenandachten finden im Clubraum statt, die Gottesdienste im Terrassenzimmer, die Festgottesdienste im großen Aufenthaltsraum. Aber der Rückzug in einen festen sakralen Raum ist leider nicht möglich. Doch an diesem Thema bleibe ich dran.

Auch in der Altenpflege geht es immer wieder um Kosten und Effizienz. Durchleben Sie oft Konflikte zwischen christlichem Anspruch und ökonomischer Notwendigkeit?

Hoferichter: Ich bin überzeugt, dass es funktionieren kann, wenn man an die Arbeit mit einer Mischung aus klarem Verstand und Herz herangeht. Die Vernetzung in Burscheid ist gut und muss immer weiterentwickelt werden. Einerseits müssen die Mitarbeiter mit Fortbildungen und Qualifikationen unterstützt werden. Es steht aber auch die Riesengruppe der Ehrenamtlichen zur Verfügung und Angehörige, die aufgeschlossen sind. Sie miteinander zu vernetzen, damit sie sich unterstützen und helfen und nicht kontraproduktiv tätig sind, das ist der Weg, damit es gut weitergehen kann. Aber wir müssen dabei immer wieder kommunizieren. Das ist ja auch nicht einfach: Da ist die erfahrene Pflegerin und dann kommt plötzlich eine Angehörige, die sagt, ich mache das aber so mit meiner Mutter. Und dann kommt noch die Grüne Dame und sagt: Aber ich möchte das lieber so machen. Es gibt bei steigenden Kosten nicht mehr Personal und auch nicht mehr Zeit. Und das muss man ernsthaft kompensieren mit gegenseitiger Offenheit und Unterstützung. Anders wird es nicht gehen.

Können Sie Beispiele für diese Vernetzung nennen?

Hoferichter: Der Hospizverein ist so ein segensreiches Beispiel. Er hat 30Ehrenamtliche zur Verfügung und wir haben vor einem Jahr eine Kooperation abgeschlossen. Die Krankenkassen unterstützen die ehrenamtliche Hospizarbeit inzwischen, indem sie den Hospizdienst abrechnungsfähig machen. Das sind doch Zeichen, die man ergreifen muss. Das nächste große Stichwort ist die Palliativmedizin und -pflege. Hier sind Mitarbeiter zum Teil schon fachlich qualifiziert. Aber es geht auch darum, vor Ort in Burscheid deutlich zu machen, wie es hier im Altenzentrum eigentlich ist. Es ist ja nicht immer einfach, alle zufriedenzustellen. Aber die, die zufrieden sind, denen mache ich Mut, das auch zu sagen.

Ihre eigene Mutter lebt mit Ihnen zusammen in Neuss in einem Haus, aber in getrennten Wohnungen. Ist für sie vorstellbar, eines Tages in ein Heim zu kommen?

Hoferichter: Meine Mutter ist jetzt 89. Ihr geht es noch gut. Aber sie liest den "Heimboten", ist auch hin und wieder mal hier zu Besuch und sagt, sie würde das machen. Aber ich habe ihr auch geraten, das Altenheim bei uns in der Straße in Neuss zu wählen. Da ist die Kirchengemeinde, da ist der Turnverein, da sind die Menschen, die sie kennt. Und das ist unendlich wichtig. Jetzt haben wir das noch nicht zu entscheiden, aber es wäre sicher gut, wenn sie die Vernetzung vor Ort hätte.

Haben Sie selbst Angst vor dem Altern?

Hoferichter: Ehrlich gesagt nicht. Ich weiß, was mit dem Altern einhergeht und merke: Es ist sinnvoll, sich vorzubereiten, also einen Rahmen zu finden und zu schauen, wie ich mich einrichten kann, um diesem Altern gut zu begegnen, auch mit eventuellen Gebrechlichkeiten.

Welche Zeit bleibt Ihnen Heiligabend überhaupt noch, mit Ihrer Mutter zu feiern?

Hoferichter: Ich bin ja ab dem Morgen zunächst hier in Burscheid. Das kennt meine Mutter schon seit vielen Jahren und geht dann mit Freunden und Bekannten in den Gottesdienst. Wir treffen uns abends zu Hause und haben zu zweit ein traditionelles Abendbrot. Anschließend gibt es die Bescherung und wenn wir fit genug sind, besuchen wir abends um 23 Uhr noch die Christvesper. Da tritt auch unser Posaunenchor auf.

Aber Sie spielen dann nicht mehr mit?

Hoferichter: Doch - wenn ich die Kraft noch habe. Das habe ich offengelassen.

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