Auschwitz: Reise an den Ort des Unfassbaren

Ende März besucht eine evangelische Erwachsenen- und Jugendgruppe die Stadt Krakau und das ehemalige KZ.

Auschwitz: Reise an den Ort des Unfassbaren
Foto: Daniel Naupold/dpa

Burscheid. Auf den Tischen im kleinen Saal des evangelischen Gemeindehauses in der Hauptstraße liegen Bilder ausgebreitet. Sie sind fast fünf Jahre alt, entstanden bei der Nachbereitung eines Besuchs in Auschwitz. Jugendleiterin Anke Theron-Schirmer hat sie noch einmal hervorgeholt, um sich zu erinnern an das, was die Jugendlichen damals bewegt hat. Denn in zwei Monaten bricht sie wieder auf zu diesem Ort des Unfassbaren.

Auschwitz: Reise an den Ort des Unfassbaren
Foto: Doro Siewert

Zweimal, 2008 und 2010, hat Theron-Schirmer zusammen mit ihrem Bergisch Neukirchener Kollegen Marco Steckling schon Auschwitz-Fahrten mit Jugendlichen beider Gemeinden organisiert. Diesmal, im Jahr des Gedenkens an die Befreigung vor 70 Jahren, werden auch Erwachsene dabei sein. „Unsere jüngste Teilnehmerin ist 15, der Älteste 91.“ Für ihn wird es auch eine Reise in die Familienvergangenheit: Er hat in Auschwitz seinen Bruder verloren.

„Was wir auf der Reise mit den älteren Menschen erleben werden, ist auch für uns neu“, sagt die Jugendleiterin. So weit wie das Alter liegen die Erfahrungswelten der Teilnehmer auseinander. Als Dirk Schirmer vier Tage vor den Gedenkfeiern in Auschwitz am vergangenen Dienstag die Jugendlichen beim ersten Vorbereitungstreffen fragen wollte, was denn ihre Großeltern vom Krieg erzählt haben, wurde ihm plötzlich klar: „Auch die Großeltern waren da oft noch nicht geboren.“ Die Zeitzeugen werden immer weniger. Das gilt für die eigenen Familien wie für Auschwitz selbst.

Nur noch zwei deutschsprachige Holocaust-Überlebende stehen derzeit in der KZ-Gedenkstätte für Besuchergruppen zur Verfügung. Mit einem von ihnen ist eine Begegnung vereinbart. Immer wieder ist das ein besonders eindrücklicher Moment, wenn erlittenes Leid ein Gesicht bekommt — in diesem Fall noch ein lebendes Gesicht.

Aber auch die Gesichter der Ermordeten, die Porträts der Männer, Frauen, Kinder zu einem Zeitpunkt, als sie noch nicht gequält waren, „sind den Jugendlichen sehr, sehr nahe gegangen“, erinnert sich Anke Theron-Schirmer an die früheren Reisen. Wie alles, was deutlich macht, dass hinter der unvorstellbaren Zahl von 1,1 Millionen Toten 1,1 Millionen Einzelschicksale stehen.

Bewusst haben die Organisatoren darauf verzichtet, im Dokumentationszentrum von Auschwitz oder in dessen Nähe zu übernachten. Die Fahrt soll nicht erdrücken. Ja, das Stammlager Auschwitz I wird besucht und anschließend auch das drei Kilometer entfernte Vernichtungslager Birkenau, dessen Wirkung Dirk Schirmer als noch schlimmer empfindet, obwohl vieles dort nicht mehr erhalten ist. „Aber allein da zu sein und das riesige Gelände zu erleben, ist unvorstellbar.“ Und in Krakau steht auch Oskar Schindlers einstige Emaillefabrik, inzwischen Teil des Historischen Museums der Stadt, auf dem Besuchsprogramm. Doch die Gruppe wird auch das jüdische Leben im Krakau von heute erkunden, das nach den Dreharbeiten zu „Schindlers Liste“ wiederbelebte Viertel Kasimierz durchstreifen, koscheres Essen und Klezmer-Musik genießen. „Es ist erlaubt, nach Auschwitz auch durch Krakau zu gehen und sich zu freuen“, sagt Dirk Schirmer. „Das Leben geht ja weiter, aber vielleicht ein bisschen anders.“

Darauf hoffen die Organisatoren. Es gebe viele KZ-Gedenkstätten, „aber keine, die so eindrucksvoll ist wie Auschwitz“, ist Anke Theron-Schirmer überzeugt. Der Holocaust ist für die Jugendlichen normalerweise weit weg. Durch die Reise wird sich die Distanz mindern, das zeigt die Erfahrung der zurückliegenden Besuche. Manche fahren schon zum zweiten Mal mit. Das zeigt: Das Thema Auschwitz ist für sie nicht abgeschlossen. „Die Jugendlichen nehmen für sich mit: Das ist real, das hat es wirklich gegeben.“

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