Analyse: Das überforderte Ehrenamt

Mit dem Wachstumstempo der Bürgergesellschaft kann das ehrenamtliche Engagement kaum Schritt halten. Es muss sich neu definieren – und sein kostbarstes Gut infrage stellen.

Burscheid. Für sich betrachtet, sind die Vorfälle der Vergangenheit jeweils anders gelagert. Aber in der Gesamtschau weisen die Burscheider Zerwürfnisse der vergangenen Jahre über sich hinaus. Das Ehrenamt gewinnt gesellschaftlich an Bedeutung und Einfluss - und gerät gerade deswegen zusehends in eine Krise. Sie zu bewältigen, wird durch honigsüße Sonntagsreden allein nicht gelingen.

Die zurückliegenden Diskussionen um den Einsatz des Obst- und Gartenbauvereins in der Stadt, der Bruch innerhalb der Burscheider Musikschule, die Feindschaften im Vorstand der Burscheider Tafel - sie alle sind neben den Anteilen der handelnden Personen auch allgemeine Geburtswehen einer rasant wachsenden Bürgergesellschaft. In dem Maße, in dem die öffentliche Hand nicht mehr in der Lage ist, die Vielzahl sozialer Anliegen zu finanzieren und personell zu bewältigen, sind die Bürger selbst gefordert, in die Lücke zu stoßen, Verantwortung zu übernehmen und sich zu engagieren.

Damit wirkt ehrenamtlicher Einsatz aber zunehmend über den Biotopbereich hinaus und greift in das öffentliche Leben ein. Die Ausrichtung und das Selbstverständnis der Musikschule haben Auswirkungen auf alle musiktreibenden Vereine der Stadt. Wenn der Obst- und Gartenbauverein die Gestaltung und Ausstattung des vernachlässigten Luchtenbergparks in die Hand nimmt, gewinnt er damit erheblichen Einfluss auf das Stadtbild. Die bundesweit expandierende Tafelbewegung tritt der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich entgegen.

Aber mit der gesellschaftlichen Relevanz wächst auch die Gegenrede. Menschen, die sich in ihrer Freizeit engagieren, müssen sich plötzlich öffentlicher Kritik in einer Intensität stellen, auf die sie nicht vorbereitet sind. Sie stehen unter Rechtfertigungszwang, gerade auch gegenüber einer immer selbstbewusster auftretenden Bürgerschaft, der sie ja selbst entstammen. "Warum tue ich mir das alles noch an?", ist dann eine oft gehörte Frage, der nicht selten der völlige Bruch bis hin zum erbitterten Kleinkrieg folgt.

Diese Frage unterschlägt, dass Ehrenamt immer auch einen Eigennutzanteil hat. Der Einfluss, die Anerkennung, das Selbstwertgefühl, die durch das Engagement wachsen, sind oft ein viel größerer Gewinn, als es jede finanzielle Entlohnung sein könnte. Das Herzblut, das jeder Einzelne, oft bis an den Rand der Erschöpfung, in sein jeweiliges ehrenamtliches Projekt steckt, scheint Selbstverwirklichung zu versprechen, wie sie im beruflichen oder privaten Alltag oft schmerzlich vermisst wird.

Die auch am Dienstagabend bei der Tafel wieder zu hörende Forderung, das Ehrenamt müsse professioneller werden, klingt da wie ein Widerspruch in sich. Sie verkennt zudem, dass es vielerorts ja schon übliche Praxis ist, dass Menschen ihre berufliche Erfahrung auch ehrenamtlich einbringen: Der Steuerberater wird Schatzmeister, der Architekt übernimmt die Sanierung der Vereinsimmobilie, die Journalistin hilft bei der Öffentlichkeitsarbeit.

Aber nicht so sehr das Perfektionistische kann das Ehrenamt von der Profession lernen, sondern eher die Zurücknahme. Gehalt ist ja immer auch ein Stück Schmerzensgeld für die Einordnung in Produktionsprozesse, eine größere, auch emotionale Distanz zum eigenen Tun und die Anerkennung, dass der eigene Weg nicht immer der allein gangbare ist.

Dem steht auf der Seite des Ehrenamts dessen kostbarstes Gut entgegen: die Leidenschaft. Menschen setzen sich oft ja gerade dort ein, wo aus ihrer Sicht professionelle Strukturen entweder versagt haben, überfordert oder überhaupt nicht erkennbar sind. Jetzt will man zeigen, dass es eben doch geht, wenn man sich nur genügend engagiert.

Diese so wertvolle Leidenschaft führt aber immer wieder dazu, dass Kritik oder Konfrontation als derart verletzend empfunden werden, dass die Eskalation fast schon vorprogrammiert ist. Gleichzeitig wird die Kritik auch zunehmend rigoroser vorgebracht: Wer im Berufsleben womöglich undurchschaubaren Globalisierungsfolgen ausgesetzt ist oder von privaten Zukunftsängsten geplagt wird, will wenigstens in seiner Freizeit beweisen, dass er sich nicht unterkriegen lässt.

In diesem Spannungsfeld zwischen wachsender Bedeutung des Ehrenamts und selbstbewussterer Infragestellung sind mehr denn je Integrationsfähigkeiten gefragt. Engagement alleine genügt nicht, es muss eingebettet sein in die Fähigkeit, andere Menschen mitzunehmen, unterschiedliche Leistungsbereitschaft und Begabungen zu akzeptieren und diese Unterschiedlichkeit auch wertzuschätzen.

Das aber setzt voraus, dass sich das Ehrenamt von der weit verbreiteten Maxime des Alles oder nichts verabschiedet. Seiner gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung würde es gerade dadurch gerechter. Die vielen erbitterten Kleinkriege allein in Burscheid sind allerdings Zeugnis dafür, dass der Weg dahin noch weit ist.

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