Afghanistan: „Alles ist schlimmer geworden“

Vier Jahre hat Haron P. für die US-Armee gearbeitet. Dann ist er nach Burscheid geflohen – aus Angst um sein Leben.

Burscheid. Er formuliert es vorsichtig. Ja, der auf deutsche Anforderung erfolgte Bombenangriff auf zwei von Taliban gekaperte Tanklastzüge im afghanischen Kundus sei nach seiner Einschätzung ein Fehler gewesen.

Dass sich Talibankämpfer über Stunden an einem Ort aufhalten, um festgefahrene Laster aus dem Schlamm zu befreien, widerspricht seinen Erfahrungen. "Die Taliban sind spätestens nach einer halben Stunde weg, weil sie wissen, dass dann die Flugzeuge kommen." Dafür gebe es viele arme Menschen, die nur einfach günstig an ein bisschen Benzin kommen wollen.

Haron P. (Name geändert) kennt sich aus im Krieg von Afghanistan. Er ist dort geboren, er war Navigations-Offizier der afghanischen Luftwaffe und zuletzt vier Jahre lang als Übersetzer für die US-Armee und zeitweise auch für die Vereinten Nationen tätig - nicht irgendwo, sondern draußen, bei den gefährlichen Einsätzen auf dem Land und in den Dörfern.

Dann ist er geflohen. "Ich konnte in meinem Haus nicht mehr schlafen aus Angst, sie würden kommen und mich umbringen." Afghanen, die mit den Amerikanern zusammenarbeiten, haben Feinde - auch im eigenen Volk.

Erst war da der Bombenangriff auf ein Dorf in der Nachbarschaft, bei dem wieder unbeteiligte Zivilisten starben. Teile des betroffenen Clans kamen danach in sein Heimatdorf und verdächtigten ihn, die Falschinformation an die US-Armee gegeben zu haben.

Dann die Begegnung in Kundus, die Warnung, sein Name stehe "auf der Liste". Schließlich seine versuchte Entführung am 4. Oktober 2008, die Schüsse auf ihn, als er davonrannte.

Zwei Tage später flieht er, lässt seine hochschwangere Frau zurück und nutzt sein deutsches Visum, das er für eine amerikanische Militär-übung in Ostdeutschland erhalten hatte. In Kabul zittert Haron vor der US-Armee und seinen Häschern, in Frankfurt vor der deutschen Polizei.

Doch dann erhält der 28-Jährige die Duldung, kommt nach Burscheid, findet einen unterstützenden Anwalt und hofft, möglichst rasch seine Familie nachholen zu können. "Wenn ihr etwas passiert, möchte ich auch nicht mehr leben." 208 Euro bekommt er vom Sozialamt, 150 Euro davon lässt er nach Afghanistan überweisen.

Als Haron vor vier Jahren anfing, für die Amerikaner zu arbeiten, war er voller Hoffungen. Er wollte sein Land befreien von der Korruption, den War Lords und Heuchlern. Heute ist er enttäuscht wie viele seiner Landsleute: "Die Situation ist nicht besser geworden, sondern schlimmer. Die Regierung ist korrupt, die Polizei, die Armee."

"Jeder macht Fehler, auch die US-Armee", sagt er. Einer der Fehler aus seiner Sicht: "Die Afghanen wollen Respekt für ihre Kultur und Religion. Aber die einfachen Soldaten wissen nicht genug darüber." Der größte Irrtum sei es aber gewesen, gemäß dem Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" den falschen Kreisen zu vertrauen.

Haron gibt ein Beispiel. Selbst Paschtune, der an seinem Akzent aber kaum zu erkennen ist, wohnt er als Übersetzer einem Treffen zwischen Stammesvertretern aus dem Norden des Landes und Militärs bei. Und hört mit an, wie sein Volk von den mit den Paschtunen verfeindeten Nordstämmen pauschal den Taliban zugerechnet wird. "Viele geben den Militärs falsche Informationen, um sich auf diese Weise ihrer Feinde zu entledigen."

"Die meisten Afghanen lieben die Deutschen, weil sie wirklich helfen", schildert er die Haltung in seinem Heimatland. Heute sieht er aber die Gefahr, dass sich die Stimmung langsam auch gegen sie wendet. An eine Chance, den Krieg zu gewinnen, glaubt er derzeit nicht. Aber er weiß auch: "Wenn die Armeen abziehen, übernehmen die Taliban innerhalb von sechs Monaten wieder die Macht."

Worauf baut er dann? "Der Westen muss mehr Respekt zeigen und darf keine Zivilisten mehr töten. Aber auch so viele Taliban töten wie möglich ist nicht die Lösung. Es kommen immer wieder neue. Das Militär muss stärker auf Gerechtigkeit und Stabilität bauen."

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