Begleitung beim Berufseinstieg Förderprogramm für Problemschüler in NRW vor dem Aus

Düsseldorf · Die Berufseinstiegsbegleitung bringt seit zehn Jahren junge Menschen in NRW in die Lehre, die sonst nicht mal den Abschluss schaffen. Jetzt ist sie bedroht.

 Bei der Berufseinstiegsbegleitung werden Jugendliche, die kaum Aussicht auf einen Abschluss haben, eng betreut und gefördert.

Bei der Berufseinstiegsbegleitung werden Jugendliche, die kaum Aussicht auf einen Abschluss haben, eng betreut und gefördert.

Foto: picture-alliance/ dpa/Uli Deck

Die Berufseinstiegsbegleitung hilft seit zehn Jahren Jugendlichen in NRW, die wenig Aussicht auf Schulabschluss und Ausbildung haben, dabei, beides doch noch zu erreichen. Tausende junge Menschen haben so eine Perspektive erhalten. Ein tolles Projekt, sagen die Träger vor Ort, die Kommunen, das Land und auch die Bundesagentur für Arbeit. Dennoch droht ihm jetzt das Aus.

32.000 Schülerinnen und Schüler an 3000 Schulen in Deutschland durchlaufen das Programm jährlich. Sie werden schon zwei Jahre vor ihrem Abschluss an Haupt-, Gesamt- oder Förderschule eng begleitet und gefördert, in eine Lehre vermittelt und auch dort sechs weitere Monate betreut, um einen gelungenen Übergang zu sichern. Bislang finanziert die Arbeitsagentur das Angebot zu 50 Prozent, der Bund gab die restliche Hälfte aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds dazu – die aber sind nur bis zum Ende des laufenden Schuljahres gesichert. Danach sollten die Länder für die Kofinanzierung einspringen, Länder wie Sachsen und Bayern haben das auch zugesagt. Nordrhein-Westfalen nicht – weil es mehr Mitspracherecht will, als der Bund bislang zulässt.

M. (17) aus Düsseldorf – erst perspektivlos, jetzt in der Lehre

 „Es daran scheitern und das Angebot ersatzlos auslaufen zu lassen, sorgt bei allen Akteuren vor Ort für Unverständnis“, sagt Wolfgang Foerster, Geschäftsführer des Awo-Berufsbildungszentrums in Düsseldorf. „Hier geht ein sehr, sehr gutes Förderinstrument verloren.“ Die Awo ist Trägerin der Berufseinstiegsbegleitung in der Landeshauptstadt, aktuell sind 374 Jugendliche im Programm – an 14 Schulen, darunter alle Haupt- und Gesamtschulen sowie eine Förderschule. Die Erfolgsquote liege bei 40 Prozent und das seien nur die Teilnehmer, die in eine betriebliche Ausbildung vermittelt werden; hinzu kommen diejenigen, die eine schulische Ausbildung beginnen oder sogar so viel Ehrgeiz entwickeln, dass sie einen höheren Schulabschluss anstreben. Nur Einzelfälle brechen ab, sagt Berufseinstiegsbegleiterin Stefanie Odenthal: „Und es ist eine Zielgruppe, aus der sonst eher gar keiner in eine Ausbildung gekommen wäre.“

Ein Beispiel aus der Praxis in Düsseldorf verdeutlicht, was die Begleitung bringt: Der 17-jährige M. war erst seit zwei Jahren in Deutschland – neben der Sprachbarriere gab es familiäre Probleme: M. lebte mit seiner Mutter und acht jüngeren Geschwistern in einer Flüchtlingsunterkunft und musste sich viel um die Kleinen kümmern. Immer wieder fehlte er in der Schule, machte seine Hausaufgaben nicht. Der Jugendliche war völlig desorientiert im deutschen Bildungssystem, auch die Mutter hatte keine Ahnung, wie es mit Abschlüssen und einer Lehre so läuft. Dennoch ließen sich beide nach mehreren Gesprächen mit dem Berufseinstiegsbegleiter und dem Klassenlehrer auf das Programm ein.

Nach einer ersten beruflichen Orientierung und zwei von der Einstiegsbegleitung organisierten Praktika stand für M. fest, dass er Maler und Lackierer werden will – das gab ihm die Motivation für seinen Hauptschulabschluss. Der Begleiter half ihm und seiner Mutter, den Alltag so zu planen, dass M. verlässlich in die Schule gehen und seine Hausaufgaben erledigen konnte.

Land betont Sinn des Programms, pocht aber auf Mitsprache

Der 17-Jährige schaffte nicht nur den Abschluss, er bewarb sich mit Hilfe seines Begleiters auch intensiv auf Lehrstellen und fand schließlich durch ein freiwilliges Praktikum in den Ferien einen Betrieb, der ihn übernahm. Durch die Trainings vorab, war er auf das Vorstellungsgespräch so gut vorbereitet, dass die Sprachbarriere ihn nicht mehr hemmte. Während der sechsmonatigen Probezeit wurde M. noch von seinem Berufseinstiegsbegleiter betreut, im Anschluss zu einem Träger für ausbildungsbegleitende Hilfen vermittelt, damit er auch weiter Unterstützung erhält – Probleme hat der junge Mann bislang laut Awo aber nicht in seiner Lehre, sondern ist fleißig und lernbegierig.

Die SPD im Landtag hat bereits im Oktober 2018 mit einer Kleinen Anfrage die Zukunft der Berufseinstiegsbegleitung in NRW auf die Tagesordnung gebracht. Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) betonte in seiner Antwort, das Angebot verfüge über „ein bedeutsames Alleinstellungsmerkmal“ und habe „landesweit eine hohe Akzeptanz“. Man rechne mit einem Finanzbedarf von jährlich 30 Millionen Euro für das Land, wenn es in die Kofinanzierung einstiege – im Haushalt für 2019 sind sie nicht enthalten.

Auf Anfrage bekräftigt das Arbeitsministerium, man wolle im Gegenzug zunächst  „mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten eingeräumt“ bekommen. Diese Einschätzung habe Minister Laumann bereits im vergangenen Sommer in einem persönlichen Brief an seinen Bundeskollegen Hubertus Heil (SPD) geschildert und um eine Fortsetzung der Verhandlungen gebeten. „Aktuell laufen dazu Gespräche mit den Arbeitsmarktpartnern“, so das NRW-Ministerium.

Der Awo in Düsseldorf laufen schon Einstiegsbegleiter davon

Allerdings wird das, was die Landesregierung verändern will, vor Ort ohnehin sehr kritisch gesehen. So solle der Betreuungsschlüssel der Einstiegsberater von 1:20 auf 1:40 verändert werden. „Das ist indiskutabel“, sagt Gregor Nachtwey von der Kommunalen Koordinierung im Schulverwaltungsamt Düsseldorf. Die „intensive Beziehungsarbeit“, die das Programm so erfolgreich mache, sei damit nicht mehr möglich. Das sieht Anke Kleinbrahm von der Kommunalen Koordinierung in Wuppertal ebenso. Allein seit 2015 waren und sind dort 700 Schüler in der Einstiegsbegleitung – von 337, die bereits fertig sind, wurden etwa 100 in Ausbildungen vermittelt, 100 an weiterführende Schulen und 50 in berufsvorbereitende Maßnahmen; nur rund 80 brachen ab. Auch in Wuppertal versucht man alles, um die Begleitung zu retten, vor allem indem man auf die Kammervertreter zugeht und warnt: „Da läuft etwas aus, was euch in der Wirtschaft nützt“, erklärt Kleinbrahm mit Blick auf den Fachkräftemangel im Land.

Hoffnung hat auch Foerster von der Düsseldorfer Awo noch, „dass kluge Köpfe eine kluge Entscheidung treffen“ und die Berufseinstiegsbegleitung erhalten bleibt. Allerdings wird es knapp: Am 1. April müsste die Ausschreibung für das kommende Schuljahr losgehen. „Das ist utopisch“, sagt Nachtwey angesichts des Hin und Her bis dato. Bei der Awo spürt man das schon: Vier Einstiegsbegleiter von 20 haben wegen der Unsicherheit über die Zukunft des Programms gekündigt. „Da geht nicht nur Know-how verloren, sondern aufgebaute Beziehungen“, verdeutlicht Nachtwey. Alle Beteiligten sind sicher: Für Jugendliche wie den 17-jährigen M. könnte das über Perspektive oder Perspektivlosigkeit entscheiden.

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