Meinung Wir brauchen eine Debatte über Wutbürger-Unkultur

Hätte der 56-jährige Deutsche Werner S., der am Montagabend den sauerländischen Bürgermeister Andreas Hollstein ermorden wollte, ein südländisches Aussehen gehabt und bei seinem Messerangriff irgendetwas Arabisches gerufen, dann hätten die rechten Hassprediger dieses Landes sofort „Terrorismus“ gebrüllt und ihrer Hetze gegen Flüchtlinge freien Lauf gelassen.

Meinung: Wir brauchen eine Debatte über Wutbürger-Unkultur
Foto: Schwartz, Anna (as)

Dann würde jetzt nicht mit rechtsstaatlicher Geduld erörtert, welche explosive Mischung aus persönlicher Lebenslage und Desorientierung den arbeitslosen Maurer zu seinem Mordversuch bewogen haben mag.

Andreas Hollstein hat am Dienstag berichtet, dass er seit zwei Jahren mit einem permanenten Bedrohungsszenario lebt, und dass ihm das Attentat zeige, wie das Gift, das vor allem in den sozialen Medien gesät werde, Eingang in „simple Gemüter“ wie das des Attentäters finde. Hollstein berichtete auch, dass beinahe jeder Politiker bis hinunter ins lokale Ehrenamt von Pöbeleien berichten kann. Das BKA soll im Zusammenhang mit der Bundestagswahl mehr als 3660 Straftaten registriert haben; deutlich mehr als noch 2013.

Die Attentate auf Oskar Lafontaine im April und Wolfgang Schäuble im Oktober 1990 waren das Werk irrer Einzeltäter. Die Messerattacken auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker 2015 und nun gegen Andreas Hollstein in Altena stehen dagegen in einer Reihe immer ungehemmterer Ausbrüche wutbürgerlicher Asozialität, die selten bundesweit wahrgenommen werden.

2016 griff ein Rechtsextremist Goslars Bürgermeister Oliver Junk mit einem Bierglas an, in Oersdorf (Schleswig-Holstein) bekam Bürgermeister Joachim Kebschull einen Knüppel vor den Kopf; er hatte sich für Flüchtlinge eingesetzt. In Herne zündeten Unbekannte Wahlkampf- und Privatauto von Michelle Müntefering (SPD) an. Auch die Autos von Frauke Petry und Beatrix von Storch (AfD) brannten, dem hessischen SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel flog ein Gully-Deckel ins Büro-Fenster. Und, und, und.

Navid Kermani hat zu Recht in seiner Dankesrede zum NRW-Staatspreis Politiker wie Schäuble und Reker als Helden bezeichnet, die buchstäblich ihr Leben für unser Land hingehalten haben. Aber: Wir können nicht hinnehmen, dass es in unserem Land von der Lokalpolitik an aufwärts des Heldenmutes bedarf, um sich demokratisch zu engagieren. Wir brauchen eine Debatte über den Umgang mit der Unkultur der Wutbürger.

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