Meinung Welches Deutschland es in Zukunft sein soll

Als der unfreiwillige Kanzler der Wiedervereinigung eines abgespaltenen Landesteils mit der Bundesrepublik Deutschland das Abstimmungsergebnis zur Kenntnis nehmen musste, war er alles andere als erfreut: 96,6 Prozent Wahlbeteiligung, 67,7 Prozent gegen einen Sonderweg — und damit für den Anschluss an die Bundesrepublik.

Meinung: Welches Deutschland es in Zukunft sein soll
Foto: Schwartz, Anna (as)

Der Kanzler hieß nicht Kohl, sondern Adenauer, der abgespaltene Landesteil war nicht die frühere DDR, sondern das Saarland.

Der 60. Jahrestag der „kleinen Wiedervereinigung“ vom 1. Januar 1957 — per Volksabstimmung gegen das von Adenauer und dem französischen Ministerpräsidenten Mendes-France ausgehandelte „Saarstatut“ durchgesetzt — blieb zu Beginn dieses Jahres ungefeiert. Während das Ganze den meisten Deutschen längst aus dem historischen Gedächtnis gefallen ist, gibt es auch nach 60 Jahren noch Saarländer, die vom „Reich“ und „den Deutschen“ sprechen, wenn sie auf die andere Seite des Flusses blicken. Innere Wiedervereinigungen dauern.

Wenn Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) in diesen Tagen erklärt, die Leute wollten, „dass Deutschland Deutschland bleibt“, um damit die Wahlergebnisse der AfD in seinem Bundesland zu erklären, so ist die Nachfrage umso bedeutender: Welche Leute, Herr Tillich? Und welches Deutschland genau meinen diese Leute?

Wer heute als Tourist nach Dresden kommt und sich dort auf den Quadratkilometer Altstadt beschränkt, der all die für ein Vermögen restaurierten Baudenkmäler beherbergt, die Frauenkirche am Neumarkt, den Fürstenzug zum Residenzschloss, das Schloss selbst und das Grüne Gewölbe, die Hofkirche, den Zwinger mit seinen Gemälde- und Porzellangalerien, die Semperoper und Brühlsche Terrasse mit dem daran gelegenen Albertinum, wird von all den fleißigen Touristen-Führern immer wieder den gleichen Abriss sächsischer Geschichte hören, der nur zwei Pole kennt.

Erster Pol: Alles Schöne und Gute verdankt Dresden August dem Starken (1670—1733), Kurfürst und Herzog von Sachsen und König von Polen-Litauen. Zweiter Pol: Dann kamen an jenem furchtbaren 13. Februar 1945 die alliierten Bomber.

Einzig in der Dresdner Hofkirche findet sich in einer Seitenkapelle ein etwas verschämter Hinweis, dass sich zwischen August dem Starken und dem 13. Februar 1945 offenbar ebenfalls deutsche Geschichte ereignet hat, und dass ein mit Mord, Blut und Toten gepflasterter Weg des Verbrechens direkt vom 30. Januar 1933 zum 13. Februar 1945 führt. Es wird Zeit, dass Stanislaw Tillich und die seit 1990 ununterbrochen in Sachsen regierende CDU „den Leuten“ mitteilen, dass die Deutsche Demokratische Republik am 3. Oktober 1990 keinem sächsischen Phantasialand, sondern gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist.

Seitdem heißt die Präambel unserer Verfassung: „Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“

Was herauskommt, wenn unter der Hülle der staatlichen Einheit keine Gemeinsamkeit hergestellt wird, sondern es Nationalisten und Separatisten ständig erlaubt wird, ihre parallelen Volks- und Staatsphantasien zu verbreiten, lässt sich aktuell in Spanien besichtigen. In Italien begann der Aufstieg der rechtsextremistischen und rassistischen Lega Nord Ende der 80er Jahre mit dem bösartigen Witz, Giuseppe Garibaldi (1807—1882) habe 1870 nicht Italien geeint, sondern Afrika geteilt.

Die Bundesrepublik und die DDR haben im Sommer 1990 im Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands festgeschrieben, um welches Deutschland es geht: Eines, das im Bewusstsein der Kontinuität deutscher Geschichte der demokratische Entwicklung, der Achtung der Menschenrechte und dem Frieden verpflichtet bleibt, in dem Bestreben, durch die deutsche Einheit einen Beitrag zur Einigung Europas und zum Aufbau einer europäischen Friedensordnung zu leisten, in der Grenzen nicht mehr trennen, und die allen europäischen Völkern ein vertrauensvolles Zusammenleben gewährleistet.

Es wäre gut, wenn der seit seiner Wahl weitgehend unsichtbare Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Dienstagmittag bei seiner Rede in der Mainzer Rheingoldhalle zum Tag der Deutschen Einheit einmal darauf einginge, dass es 27 Jahre nach der Vereinigung Zeit ist, die innere Einheit Deutschlands zu festigen und zu stärken, statt von einem völkischen Hundekrawatten-Deutschland hinter Jägerzäunen zu fantasieren, das es nie gab und nach dem Willen derMehrheit der Deutschen glücklicherweise auch niemals geben wird.

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