Meinung Warum das Prinzip „Fordern und Fördern“ bei Hartz IV weiterhin richtig ist

Meinung · Die Entscheidung in Karlsruhe, den Sanktionskatalog bei Hartz IV zu beschneiden, war richtig - aus zweierlei Gründen.

 Stefan Vetter.

Stefan Vetter.

Foto: k r o h n f o t o . d e

Der Streit über Hartz IV ist so alt wie das Gesetz selbst. Als die Arbeitsmarktreform vor nunmehr 14 Jahren in Kraft trat, erhofften sich die einen davon eine schnellere Arbeitsvermittlung. Für die anderen hingegen ist Hartz IV bis heute „Armut per Gesetz“ - und der daran gekoppelte Strafkatalog des Teufels. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sanktionen nun zwar in Teilen für grundgesetzwidrig erklärt, weil sie mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum kollidieren.

Zugleich haben die obersten Richter aber auch das Prinzip des Forderns und Förderns bestätigt, wie es in Hartz IV angelegt ist. Eine gute Entscheidung. Nimmt sie doch denjenigen den Wind aus den Segeln, die eine gesellschaftlich finanzierte Leistung ohne jegliche individuelle Gegenleistung für die Krönung des Sozialstaats halten.

Vor der Neuregelung im Jahr 2005 war das System in Deutschland nur auf die Abmilderung der materiellen Folgen von Erwerbslosigkeit angelegt. Die Arbeitslosigkeit wurde lediglich verwaltet. Mit Hartz IV hat sich das geändert. Unstreitig ist, dass das Gesetz bei allen Unzulänglichkeit auch mit dazu beitrug, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Und im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung spielen die Sanktionen dabei nur eine untergeordnete Rolle. 2018 waren im Schnitt pro Monat lediglich drei Prozent der Grundsicherungsempfänger davon betroffen. In gut drei Viertel aller Fälle ging es um versäumte Termine beim Jobcenter. Dafür kann die Behörde den Hartz-IV-Satz zeitweilig um zehn Prozent kürzen. Und sie wird dies auch in Zukunft tun können. Ist es doch nicht zu viel verlangt, ein länger vereinbartes Treffen einzuhalten oder bei triftigen Gründen abzusagen.

Auch wer eine Fördermaßnahme ohne schlüssiges Motiv ausschlägt oder ein Jobangebot, wird künftig nicht ohne Geldeinbußen davon kommen. Entscheidend ist dabei allerdings die Verhältnismäßigkeit der Strafe. Hier haben die Jobcenter künftig einen geringeren Spielraum. Und auch das geht in Ordnung. Denn wenn jemand sogar seine Wohnung wegen der Sanktionen verliert, dann wirkt sich das für eine Integration in Arbeit oder Ausbildung wohl alles andere als positiv aus. Schon gar nicht angesichts der angespannten Wohnungslage im Land. Eine solche Praxis beklagen Arbeitsmarktexperten allerdings schon seit längerem als nicht zielführend. Hier hätte die große Koalition längst für Abhilfe sorgen können. Nun wirkt sie einmal mehr wie von Karlsruhe getrieben.

Mit ihrem Urteil haben die obersten Richter klar gemacht, dass erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger weiter eine Mitwirkungspflicht haben, um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten, die Jobcenter deshalb aber nicht das Existenzminimum der Betroffenen aus dem Auge verlieren dürfen. Eine komplette Abschaffung aller Sanktionen hätte letztlich zu einem anstrengungslosen Grundeinkommen geführt und damit zu einem ganz anderen Sozialsystem. Auf dieses politische Glatteis hat sich Karlsruhe wohlweislich nicht begeben.

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