Meinung Überversorgung: Weniger Kliniken wären besser

Meinung | Düsseldorf · Eine Bertelsmann-Studie fordert weniger Krankenhäuser in Deutschland. Realitätsverlust der Experten? Keineswegs – vielmehr ein guter und notwendiger Hinweis.

 Deutschland braucht nicht mehr, sondern weniger Krankenbetten – mit besserer Versorgung.

Deutschland braucht nicht mehr, sondern weniger Krankenbetten – mit besserer Versorgung.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Es klingt nach Kahlschlag und krasser Benachteiligung ländlicher Regionen: Mehr als die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland sollte geschlossen werden. So steht es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung. Unter 600 statt heute knapp 1400 Kliniken sichern demnach nicht nur die Versorgung der Patienten, sondern machen sie sogar besser, weil es bei Ärzten und Pflegepersonal weniger Engpässe gäbe.

Ist das alles Unsinn? Haben die Macher der Studie jeden Kontakt zum richtigen Leben verloren? Nein, das haben sie nicht. Tatsache ist: Es gibt zu viele Krankenhausbetten in Deutschland. Pro 1000 Einwohner werden 8,3 Betten vorgehalten. In Frankreich sind es etwa sechs, in der Schweiz weniger als fünf, in Schweden knapp drei. Und diese Betten müssen belegt werden, sonst drohen Verluste. Weil es eine Überversorgung gibt, liegen in Deutschland pro 1000 Einwohner mehr Kranke auf Station als in unseren Nachbarländern. Und was geschieht mit den Patienten? Sie werden behandelt, vorzugsweise im Operationssaal, weil das vergleichsweise gut bezahlt wird. Die Zahlen sind erschreckend: Bei uns werden viermal so viele Stents gesetzt wie anderswo, eine geringere Herzsterblichkeit ergibt sich daraus aber nicht. Ob es um Hüftgelenkprothesen, Knieprothesen oder Herzschrittmacher geht – Deutschland liegt bei solchen Eingriffen durchweg vor den meisten anderen Ländern. Im internationalen Vergleich gibt es bei uns mehr medizinisches Personal als anderswo, aber weniger pro Patient. Diese paradoxe Situation hat einen einfachen Grund: Zu viele Patienten werden im Krankenhaus versorgt. Rund ein Viertel der Fälle müsste nicht stationär behandelt werden.

Wer nach den Schuldigen für diese Verschwendung von Ressourcen sucht, landet irgendwann bei den Landespolitikern. Denn die haben den Auftrag, die Versorgung bedarfsgerecht zu sichern – dazu gehört auch der Mut, die Zahl der Kliniken zu senken. Aber es ist höchst unpopulär, Krankenhäuser zu schließen. In der Bevölkerung geht die Angst um, es könnte zu Versorgungsengpässen kommen. Die Experten der Bertelsmann-Studie halten diese Angst mit Recht für unbegründet. Erstens, weil viele der kleinen und von Schließung bedrohten Häuser in den Ballungsräumen liegen. Und zweitens, weil Häuser in ländlichen Regionen oft nicht so ausgestattet sind, um schwere Erkrankungen zu behandeln. Für den Patienten ist es dann besser, einen zwanzig Minuten längeren Weg in die Klinik zu haben. Nur selten traut sich die Politik, diese Zusammenhänge zu erklären. Krankenhäuser werden erst dann geschlossen, wenn die Verluste zu groß sind. Etwa jede dritte Klinik schreibt rote Zahlen.

  Rolf Eckers

Rolf Eckers

Foto: Sergej Lepke
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