Steigende Lebenserwartung: Gesellschaft braucht neue Strategien

Die Lebenserwartung steigt weiter.

Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Ein Kommentar von Werner Kolhoff.

Foto: k r o h n f o t o . d e

In den Industrieländern hat sich die Lebenserwartung seit 1900 alle zehn Jahre um rund 2,5 Jahre erhöht, linear. Das ist die Zahl für das jeweils beste Land, wo also nicht Kriege oder Katastrophen die Entwicklung beeinträchtigt haben. Derzeit liegt Japan mit 87 Jahren bei den Frauen und Island mit 81 Jahren bei den Männern vorne, Deutschland nicht weit dahinter (83 Jahre Frauen, 78 Jahre Männer). Die Zahl der über Hundertjährigen nimmt rapide zu.

Das Schöne ist: Die Wissenschaft sieht keinen Grund, warum der Trend nicht so weitergehen sollte. Jedenfalls ist derzeit keine „natürliche“ Grenze in Sicht. Die medizinische Entwicklung geht weiter, vor allem bei der Bekämpfung von Zivilisationskrankheiten. Umweltsituation, Ernährung und Lebensweise werden in den entwickelten Ländern ebenfalls stetig besser. Dann wäre man im Jahr 2100 also bei 112 Jahren im Land mit der höchsten Lebenserwartung. Im Durchschnitt! Ebenso schön: Die Entwicklungs- und Schwellenländer holen mächtig auf, auch wenn Armut noch immer massiv Lebenszeit kostet. Doch nicht mehr so viel wie früher.

Doch der Trend macht auch Probleme. In den Industrieländern geht es darum, die Finanzierbarkeit bisher noch funktionierender Sozialsysteme aufrechtzuerhalten — Gesundheit wie Rente —, wenn immer mehr Menschen 100 Jahre alt werden, aber weniger als die Hälfte der Zeit arbeiten. Und wenn nur Arbeitseinkommen die Sozialsysteme finanziert.

Auch deshalb will die Koalition es jetzt bei der Rente mit 63 belassen und nicht auch noch ein zusätzliches Frühverrentungstor ab 61 öffnen. Das ist angesichts des globalen Trends sicher nicht unklug. Aber immer noch die falsche Richtung.

Und dann gibt es auch noch ein kulturelles Problem. Wie gehen die Gesellschaften mit so vielen Alten um, integrieren sie sie oder schieben sie sie ab? Und was machen die Betroffenen selbst, werden es Jahre des einsamen Wartens oder der Aktivität? Bei 100 Jahren und mehr kann der dritte Lebensabschnitt kann ganz schön lang werden. Es ist jedenfalls die eine oder andere Überlegung aller zur rechten Zeit wert, was man mit all diesen Jahren denn noch anfangen will und soll.

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