Meinung Schüsse auf Eritreer - Unsere Gesellschaft hat die Kontrolle über das Zusammenleben verloren

Meinung · Etwa 65.300 Eritreer sind nach Europa geflüchtet. Sie leben hier. In der Hoffnung auf Schutz und besseres Leben. Oder aber: Sie sterben hier. Womöglich durch eine Pistolen-Kugel, abgefeuert von einem Rassisten mit Waffenschein aus dem Schützenverein.

 Nach der Attacke auf einen 26-Jährigen Eritreer in Wächtersbach gehen die Ermittler auf Spurensuche. Nicht nur sie fragen sich, was der mutmaßliche Täter für ein Mensch war.

Nach der Attacke auf einen 26-Jährigen Eritreer in Wächtersbach gehen die Ermittler auf Spurensuche. Nicht nur sie fragen sich, was der mutmaßliche Täter für ein Mensch war.

Foto: dpa/Arne Dedert

Mit 308 000 Flüchtlingen weltweit zählt Eritrea zu den zehn Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen. Ein-Parteien-System, Repression und Knechtschaft, willkürliche Gefängnisstrafen, zeitlich unbeschränkter „Nationaldienst“, Einreiseverbote für Journalisten. Für die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ ist das abgeschottete Land in Sachen Pressefreiheit Tabellenletzter der Welt. Noch hinter Nordkorea. Etwa 65.300 Eritreer sind nach Europa geflüchtet. Sie leben hier. In der Hoffnung auf Schutz und besseres Leben.

Oder aber: Sie sterben hier. Womöglich durch eine Pistolen-Kugel, abgefeuert von einem Rassisten mit Waffenschein aus dem Schützenverein. Dass der junge Mann aus Eritrea die unfassbare Tat in Wächtersbach überlebt hat, ist Glück. Beabsichtigt war der Tod des Unbekannten mit falscher Hautfarbe und Nationalität. Ein Tod, den er in Eritrea wahrscheinlich leichter hätte haben können. Aber jetzt musste er den Preis dafür zahlen, dass unsere Gesellschaft die Kontrolle über diesen Teil des Zusammenlebens verloren hat: Anschauungskonflikte werden nicht mehr über Politik und demokratische Mehrheitsentscheidungen geregelt, stattdessen kommt auf der Straße das Recht des vermeintlich Stärkeren zur Geltung, der nur feige und menschenverachtend ist.

 Eine Kommentar von Olaf Kupfer.

Eine Kommentar von Olaf Kupfer.

Foto: ja/Sergej Lepke

Der Hass in unserer Gesellschaft ist gewaltiger als in den letzten sechs Jahrzehnten, daran besteht kein Zweifel mehr. Das im Keim ersticken und nieder reden zu wollen, ist keine Lösung, weil es Taten wie jene in Wächtersbach befördert. Daraus entsteht der Rückzug in die Radikalisierung kleinster Einheiten: vermutlich nicht anerkannt, nicht gehört, nicht repräsentiert, nicht mitgenommen. Aber umso rachsüchtiger. Erst, wenn wir endlich Antworten darauf suchen und finden, ist etwas gewonnen. Schlimme rechte Hetzer allein mit einem Tweet zu brandmarken, reicht nun einmal nicht.

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