Meinung Merkels unmöglicher Besuch ist unverzichtbar

Dass die deutsche Bundeskanzlerin mit ihrem Besuch ohne jeden Zweifel Wahlkampfhilfe für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan leistet, ist nur schwer zu ertragen. Um die in zwei Wochen anstehenden Neuwahlen zu erreichen, hat Erdogan rücksichtslos die Konflikte zwischen Türken und Kurden im eigenen Land bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen geschürt.

Meinung: Merkels unmöglicher Besuch ist unverzichtbar
Foto: Anna Schwartz

Erdogan ist hinlänglich überführt, Mord- und Terrorbanden des Islamischen Staats zumindest unterstützt zu haben, so lange es ihm bei seinem irrsinnigen Kampf gegen die Kurden nützte. Erdogans Krieg im Inneren und seine Militäraktionen in Syrien und dem Irak mögen sich formal gegen die PKK richten, in Wahrheit richten sie sich gegen alle Kurden — auch die Peschmerga, die von der Bundesregierung mit Waffen und Ausbildung unterstützt werden.

Man kann diplomatisch drumherum reden, aber faktisch leistet Bundeskanzlerin Merkel einem autokratischen, brutalen Gewaltherrscher politische Hilfestellung dazu, die Verfassung eines einstmals laizistischen Staats, der auf dem Weg nach Europa war, zu einem Präsidialsystem zu verbiegen, das Rechtsstaatlichkeit durch die größenwahnsinnigen Allmachtsfantasien seines Präsidenten-Darstellers ersetzt. In einem Satz: Es ist ein unmöglicher Besuch. Aber es ist ein — im deutschen Interesse — leider auch unverzichtbarer.

Angela Merkel selbst hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie nicht zu einem politischen Freundschaftsspiel nach Istanbul aufgebrochen sei. So sehr Erdogan und seine Ministerpräsidenten-Marionette Ahmet Davutoglu nach allen demokratischen Maßstäben auch politische Parias mit zudem unverschämten Forderungen sein mögen, so wenig werden sich die Fluchtbewegungen von hunderttausenden Menschen ohne türkische Hilfe regulieren und reduzieren lassen.

Europa ist im Herbst 2017 nicht mehr in der Position, Erdogan Gespräche und Zugeständnisse verweigern zu können. Vor allem muss Merkel dem Möchtegern-Pascha Erdogan klarmachen, dass Europa nicht freundlich zusehen wird, wenn seine ebenso kurzsichtige wie gewalttätige Kurdenpolitik nach einem Wahlsieg erst recht dazu führen könnte, die Fluchtursachen in der Region noch zu verschärfen. Die Bundeskanzlerin muss ohne jeden Interpretationsspielraum klar machen, dass es im türkischen Eigeninteresse liegt, mit Europa zu kooperieren.

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