Meinung Merkels Polenbesuch: Ein Schritt zurück - wenn möglich gemeinsam

Es gibt für eine Bundeskanzlerin, die in diesen wirren Zeiten zum schwierigen Partner Polen reist, zwei Handlungsebenen. Die eine ist die politisch-moralische. Jaroslaw Kaczynskis fundamentalistischer Katholizismus und seine kruden Ansichten von Opposition und Rechtsstaatlichkeit sind weit von den Werten Europas entfernt.

Aber es ist nun auch noch nicht so schlimm, dass man gleich ganz den Stab brechen müsste. Polen ist nicht die Türkei. Zu Recht hat sich Merkel in Warschau mit öffentlicher Kritik zurückgehalten, ohne das Thema völlig zu verschweigen.

Zumal es noch eine andere Ebene gibt, die gemeinsamen Interessen. Polen will zu allererst Sicherheit vor Russland. Und seit die USA mit Donald Trump keine Garantie mehr dafür sind, gibt es für Warschau nur noch einen Ansprechpartner: Europa, vor allem Deutschland, vor allem Merkel. Sie steht für die Fortsetzung der Sanktionen gegen Moskau, sie steht auch für die Verstärkung der Nato im Baltikum. Kaczynski, der am Anfang gegenüber Berlin viele großmäulige, sogar beleidigende Sprüche geklopft hat, merkt nun wohl, dass man sich besser nicht alle gleichzeitig zum Feind macht.

Deutschland sollte diese Situation nutzen, aber nicht missbrauchen, um eine grundlegende Reform der EU anzustoßen. Das alte Weimarer Dreieck - Frankreich, Deutschland, Polen - ist die Kernachse der divergierenden Interessen auf dem Kontinent, nachdem Großbritannien nicht mehr dabei ist. Es muss nun wiederbelebt werden. Sicher wird man die Wahlen in wichtigen europäischen Ländern in diesem Jahr abwarten, doch dann muss es geschehen. Und wenn man zum Beispiel die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck am Dienstag in Maastricht mit Kuczynskis Interviewäußerungen vom gleichen Tag abgleicht, ist es auch möglich. Beide stellen in Frage, dass sich das alte Ziel "immer mehr Europa" noch halten lässt. Der Deutsche bedauert das, der Pole will es bewusst nicht anders. Die Motive seien dahingestellt - im Ergebnis muss sich die EU auf ihren Kern besinnen, den gemeinsamen Markt, die Sicherung der Außengrenzen, Umwelt- und Sozialstandards, wenn sie nicht auseinanderfliegen will.

Das ist wegen Brexit und Trump auch Deutschlands Interesse. Also ist auch von Berlin jetzt Kompromissbereitschaft gefragt. Zum Beispiel bei der Flüchtlingspolitik. An der Weigerung der Visegrádstaaten, überhaupt Menschen aus muslimischen Ländern aufzunehmen, wird sich kaum etwas ändern lassen. Aber Kaczynskis Ankündigung, den Menschen stattdessen mehr an Ort und Stelle zu helfen, könnte die Basis für einen Minimalkompromiss sein. Geld gegen Menschlichkeit.

Kein schöner Kompromiss wäre das, wie es insgesamt kein schöner Zustand ist, jedenfalls gemessen an dem Optimismus, mit dem das europäisch-polnische Verhältnis 2004 einmal anfing. Aber Politik geht oft zwei Schritte vor, einen zurück. Jetzt wird eben einer zurück gemacht. Wenn möglich gemeinsam.

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