Merkel verzaudert ihre Kanzlerschaft

Es scheint das Wesen einer neuen Regierung zu sein, dass sie einen holprigen Start hinlegt. Unser mangelhaftes Langzeitgedächtnis sorgt gleichwohl dafür, dass wir dieses Phänomen immer wieder für ein neues halten.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung bringt sich aber mittlerweile an so vielen Stellen selbst in Bedrängnis, dass sie Gefahr läuft, bleibenden Schaden davonzutragen.

Immerhin steht nicht weniger auf dem Spiel als der Verlust der schwarz-gelben Mehrheit in Nordrhein-Westfalen bei der Landtagswahl Anfang Mai. Wenn dieser Verlust eintreten sollte, beginnt die Zeitrechnung für die zweite Regierung Merkel noch einmal bei Null.

Die Kanzlerin muss deshalb dringend die Themen abräumen, deren krisenhafte Verschärfung sie selbst verantwortet. Am deutlichsten wird das bei den ersten Steuererleichterungen. Es geht längst nicht mehr um die Prestigefrage, ob diese noch rechtzeitig zum Jahreswechsel in Kraft treten können.

In diesem Konflikt mit den Ländern entscheidet sich grundsätzlich, ob sich die Bundesregierung - die sich wohlgemerkt auf eine Mehrheit im Bundesrat stützt - von den Ländern erpressen lässt. Würde sich Merkel die Zustimmung Schleswig-Holsteins erkaufen, hätte sie für den Rest der Kanzlerschaft ihre Handlungsfähigkeit verspielt. Um eine dritte müsste sie sich kaum mehr Gedanken machen.

Die vergleichsweise albernen Streitfelder um die Vertriebenen-Präsidentin Steinbach und die sogenannte Herdprämie für Mütter zeigen, dass Merkel auch ihren Partnern von der FDP und der CSU Grenzen aufzeigen muss. Hätte sie sich in beiden Fragen rechtzeitig festgelegt, müsste sie jetzt nicht auf listige Auswege aus der Defensive sinnen.

Am brenzligsten aber könnte für die Kanzlerin die Legitimationskrise um den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan werden. In der Kundus-Affäre wird immer deutlicher, dass der Einsatz am Hindukusch in eine kriegerische Eskalationsstufe getreten ist, die die Politik der Öffentlichkeit nicht zumuten mochte und der die Öffentlichkeit nur zu gerne ausgewichen ist. Die Kanzlerin muss dringend eine grundsätzliche Neubestimmung vornehmen, bevor sie vor dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort steht. Führen heißt, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen.

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