Merkel muss jetzt Führungsstärke zeigen

Koalition kann nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren

Am Tag eins nach dem größten anzunehmenden politischen Unfall aus Sicht von Schwarz-Gelb beginnt das Hauen und Stechen der Verlierer. Mappus gibt Brüderle eine Mitschuld am Untergang im Südwesten. Merkel macht die Ereignisse in Japan verantwortlich. Der CDU-Wirtschaftsflügel attackiert die Kanzlerin. FDP-Mann Kubicki greift Fraktionschefin Homburger an — und der liberale Kapitän Westerwelle klammert sich trotz Gegenwind ans Steuerrad. Ein professionelles Krisenmanagement sieht anders aus. Und doch dürfte dieses Geplänkel erst ein kleiner Vorgeschmack auf die Richtungskämpfe sein, die sich in der Koalition in nächster Zeit abspielen werden.

Nun hat die Kanzlerin noch zwei Jahre bis zur Bundestagswahl. Sie kann sich durchwurschteln und damit das endgültige Aus von Schwarz-Gelb besiegeln. Die FDP bietet keine Überlebenshilfe, die muss sich selbst erneuern. Die CDU aber kann einen politischen Kurs vorgeben, der die konservative Wählerschaft wieder mit der Union versöhnt. Denn sicher ist: Ohne das verlorene CDU-Stammland Baden-Württemberg wird es schwer, im Herbst 2013 zu gewinnen.

Nach Fukushima wollte Merkel „nicht zur Tagesordnung übergehen“. Das gilt nach dem Wahldebakel umso mehr. Merkel muss jetzt Führungsstärke zeigen und aus ihren Fehlern lernen. Sie hätte den Atomkonsens respektieren sollen, statt die Laufzeitverlängerung zum Kernprojekt ihrer Regierungsarbeit zu erheben. Ihre spätere Kehrtwende nahm ihr niemand ab. Auch die fehlende Bündnistreue, die Bundeswehrreform und der Versuch der Sozialdemokratisierung haben die Stammwähler verschreckt.

Merkels Kritiker frohlocken, doch sie sollten die politische Restlaufzeit der Kanzlerin nicht unterschätzen. Sie wäre keine kühle Strategin, würde sie nicht schon milde Töne in Richtung Grüne anstimmen. Die Chance einer Annäherung bietet sich nach dem Atom-Moratorium — wenn die CDU-Chefin ein zukunftsfähiges Energiekonzept vorlegt. Dann kann sie auch entspannt beobachten, ob den Grünen der Übergang von der Theorie in die politische Praxis gelingt. Denn regieren bedeutet auch, Entscheidungen durchzusetzen, die der eigenen Klientel manchmal nicht passen. Merkel kann ein Lied davon singen.

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