Machtdemonstration statt Tauwetter in Russland

Putin begnadigt seinen Kritiker Chodorkowski.

Der Wolf Wladimir Putin frisst Kreide. Wenige Wochen vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi startet der Kremlchef eine Charme-Offensive, um der Kritik an seiner Ukrainepolitik und den menschenverachtenden Gesetzen gegen Schwule und Lesben etwas entgegenzusetzen. Dass er ausgerechnet seinen Kritiker Michail Chodorkowski begnadigt, ist das stärkste Mittel, das er dafür einsetzen kann. Ein Sinneswandel ist es indes nicht. Im Gegenteil: Putin fühlt sich so sicher und mächtig wie nie. Innenpolitisch greift sein System. Außenpolitisch hat er in der eigenen Wahrnehmung selbst US-Präsident Obama übertrumpft, weil er in Syrien, Iran und Ukraine das letzte Wort hat.

Die vermeintlich positive Botschaft an das Ausland verfehlt auch nach innen ihre Wirkung nicht. Begnadigungen sind ein Relikt aus dem Absolutismus, das es übrigens auch im deutschen Recht noch gibt. Ein Herrscher stellt sich über das Gesetz und waltet nach persönlichem Willen. Bei Putin gerät der Akt der Gnade so zur Machtdemonstration — einem Zaren gleich.

Putin provoziert diese Assoziationen. Und zementiert die vor zehn Jahren von seinem politischen Herausforderer Chodorkowski infrage gestellte Rangordnung: Der eine bittet um Gnade, der andere gewährt sie. Eindeutiger kann man eine Hierarchie nicht darstellen. Es scheint, als habe Putin den ehemaligen Oligarchen am Ende doch noch brechen können.

Ob dem wirklich so ist, wird sich aber erst nach der Freilassung zeigen. Die versprengte Opposition in Russland wird darauf hoffen, dass es eine taktische Finte Chodorkowskis ist, der die Gunst der Stunde nutzte, um zumindest wieder freizukommen, um dann erneut gegen Putin zu Felde zu ziehen. Ebenso möglich wie menschlich wäre es aber auch, dass er, mürbe von zehn Jahren Lagerhaft, dem Druck neuer drohender Verfahren nachgab und mit dem Gnadengesuch kapitulierte.

Sicher dürfte hingegen sein, dass Putin nach den Spielen die Zügel wieder anzieht. Er wird seine Macht festigen und ausbauen. Der politische Frühling dürfte kurz sein, die Repression gegen Oppositionelle und Minderheiten weitergehen. Zumindest bis die Fußball-WM 2018 in Russland in den Fokus gerät.

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