Lohnpolitik muss die Kaufkraft stützen

Grund zu überschäumender Freude? Die Wirtschaftsexperten, die am Donnerstag die seit Jahren optimistischste Prognose für die künftige ökonomische Entwicklung wagten, sind schlau genug, um sich ein Hintertürchen offen zu lassen.

Schließlich gibt es erhebliche Risiken, die - jede für sich - die rosaroten Annahmen über den Haufen werfen können: Die US-Wirtschaft schliddert möglicherweise in die nächste Krise. Was passiert, wenn die Immobilienblase im chinesischen Wirtschaftswunderland platzt? Bleibt der Euro-Währungsraum stabil?

Dennoch: 3,5 Prozent Wachstum ist eine - vorsichtig formuliert - wohltuende Aussicht. In der Prognose steckt auch die Anerkennung für die Politik der vergangenen zwei Jahrzehnte, die im Prinzip mit der Erlangung der Deutschen Einheit begann.

Die Binnen-Wirtschaft ist gerade im globalisierten Zeitalter gut aufgestellt. Das hängt mit dem unter dem Namen Hartz IV bekannt gewordenen Programm sehr eng zusammen, das für einen Modernisierungsprozess unerlässlich gewesen ist. Die Leistungsfähigkeit basiert maßgeblich auf dem deutschen Mittelstand, der sich von den zwei Krisen des ersten Jahrzehnts zwar irritiert zeigte, aber stets auf die nationale wie internationale Attraktivität des Produkts "Made in Germany" vertraute.

Die ungebremste Ausfuhr deutscher Waren in das Ausland markiert einen zuverlässigen Faktor bei der Bewältigung oder zumindest Dämpfung aller Krisensymptome. Hinzu kommt - nach Jahren ohne Kaufrausch - die höhere Bereitschaft in der Bevölkerung, Geld auszugeben.

Selbst wenn man anerkennt, dass die zur Zeit herausragende ökonomische Stellung Deutschlands auch auf der Tarifautonomie und dem pfleglichen Umgang von Arbeitgebern und Gewerkschaften mit ihr beruht: Die künftige Lohnpolitik muss die Binnennachfrage stützen.

Nach Jahren weitgehender Lohnerhöhungs-Abstinenz sollte mit Blick auf die Wachstumserwartungen ein Plus im Portemonnaie möglich sein. Das ist kein Plädoyer für Maßlosigkeit. Aber die Philosophie der Tarifauseinandersetzungen muss neu durchdacht werden. Dazu zählt besonders die Mindestlohnproblematik. Denn die Stützung der Wachstumsentwicklung liegt im ureigensten Interesse des Landes.

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